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Buchdoktor

Posted on 19.8.2024

Lindas und Richards Tochter war erst kürzlich tödlich im Straßenverkehr verunglückt, als Linda die Diagnose Schilddrüsenkrebs erhält. Der zweite Schicksalsschlag lässt sie jedoch den Weg einer Mitpatientin kreuzen, deren Dreiseithof, Hühner, Schafe und Hund in einem ostdeutschen Straßendorf während der Therapie betreut werden müssen. Das Land im Ort gehört inzwischen einem Agrarkonzern, die Bewohner pendeln zur Arbeit aus. Linda mietet kurzentschlossen das Haus, ohne zuvor mit Richard darüber zu sprechen. Sie hat sich unbewusst nach einem Hoftor gesehnt, das sie hinter sich schließen kann und damit Versuche bemühter Menschen abwehren, mit Lindas Trauer umzugehen. Während Richard nach vorn blickt, wieder arbeitet und seine Trauer irgendwann loslassen kann, ist das Linda nicht möglich. Der Vorwurf schwebt lange unausgesprochen über ihr, sie wäre nicht am absoluten Tiefpunkt, wenn sie vor Sonjas Tod glücklich gewesen wäre. Mit dem kleinen, holzbeheizten Haus zieht sich Linda ein fremdes Leben an; innen verändert sie kaum etwas. Die Routine aus Holzspalten, Feuermachen, Hühner versorgen scheint Linda mehr Halt zu geben, als ihr beunruhigend umfangreiches Sortiment an Psychopharmaka. In der Behindertenwerkstätte des Dorfes lebt die 19-jährige Autistin Nine, mit deren Mutter Natascha Linda sich anfreundet. Die Beziehung funktioniert, weil beide Frauen sich gegenseitig respektieren – und so verschieden sind. Wenn die Hündin Nine auswählt, weil sie spürt, dass Nine sie braucht, fragt Natascha treffend, wer wen therapiert – bauen Nine und Natascha Linda auf oder Nine und Hündin Kaja? Rückblenden führen zu Lindas Jugenderlebnissen und zum Beginn ihrer Beziehung mit Richard und seinen Kindern aus erster Ehe. Schließlich kann Linda Begegnungen in ihrem alten Leipziger Kietz zulassen und ihr Bild ihrer anpassungsbedürftigen Tochter zurechtrücken. „Mein drittes Leben“ charakterisiert klar und pointiert Lindas für ihr Umfeld kaum zu ertragende Trauer und legt auf dem Weg dahin den Finger in die Wunde der Überflussgesellschaft, unseres Umgangs mit Behinderten, des Bildungs- und Erziehungsnotstands und gesellschaftlichen Zwangs, glücklich sein zu müssen. Letztlich geht es um unsere Berührungsängste gegenüber verwaisten Eltern und lebensbedrohlicher Krankheit. - Lassen sich die Schicksale Lindas und ihrer Bezugspersonen beim Lesen überhaupt ertragen? Durch Daniela Kriens präzise Darstellung sehr gut, finde ich.

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