rumblebee
Die Morde von Pye Hall Ich muss wirklich sagen, dass Anthony Horowitz in diesem Buch zu Höchstform aufgelaufen ist. Ich kannte ihn schon aus seinen beiden Sherlock-Holmes-Nachdichtungen; ferner war mir bekannt, dass er des öfteren als Drehbuchautor für britische TV-Serien gearbeitet hat. Beide Fähigkeiten, plus die des eigenständigen Kriminalschriftstellers, fließen in diesem Buch auf nahezu perfekte Weise zusammen. In der Tat würde ich das Buch zwei verschiedenen Arten von Lesern gleichermaßen empfehlen: einerseits dem traditionellen Liebhaber von „Cozy“-Krimis à la Agatha Christie und Sir Arthur Conan Doyle; andererseits dem modernen Leser spannender Mordfälle. Beides verbindet sich hier. Und der Autor spielt auch noch gekonnt mit den verschiedenen Deutungsebenen, dass es eine wahre Freude ist! Es handelt sich gewissermaßen um ein „Buch im Buch“. Die Rahmenhandlung: die Lektorin Susan Ryeland (man beachte das mittige „e“) erhält ein unvollständiges Manuskript ihres Bestsellerautors Alan Conway, der auch noch auf rätselhafte Art und Weise stirbt. Sie fühlt sich verpflichtet, die letzten Kapitel zu finden, um das Verlagsprogramm zu retten, und gleichzeitig (als passionierte Leserin, die sie nunmal ist) die Auflösung des erfundenen Falles zu ergründen. Die Binnenhandlung: perfekt gemacht, in einer anderen Schrifttype gesetzt als die Rahmenhandlung – das angebliche „Manuskript“ von Alan Conway. Der Detektiv Atticus Pünd löst seinen letzten Fall. Zuerst ist eine Haushälterin unter rätselhaften Umständen gestorben, dann ihr Arbeitgeber, der Großgrundbesitzer Magnus Pye (übrigens sehr witzig, alle diese Namen… „Magnus“ wie lateinisch „der Große“…!). Atticus reist in das Dorf Saxby, um all dem auf den Grund zu gehen… Die Binnenhandlung ist ganz an historische Vorbilder angelehnt. Es wimmelt nur so von liebevollen Anspielungen auf berühmte Kriminalautoren, wie Agatha Christie und Conan Doyle. Teils habe ich sehr gelacht; als zum Beispiel ein Verdächtiger um „15.50 Uhr ab Paddington“ mit dem Zug fährt… (Agatha Christie lässt grüßen). Sehr schön ist auch, dass der Autor Anthony Horowitz eine gewisse Selbstironie besitzt. Er beschreibt das englische Dorf genauso wie die Dörfer in den „Inspector Barnaby“-Folgen, für die er die Drehbücher geschrieben hat. Was die Lektorin aus der Rahmenhandlung sinnigerweise reflektiert…! Atticus Pünd erinnert wohl nicht ohne Grund an Hercule Poirot. Auch Pünd ist Ausländer (interessanterweise halb Grieche, halb Deutscher). Er hat exzentrische Gewohnheiten, einen etwas tumben Assistenten, und er befleißigt sich einer strengen Methodik. Die zweite Detektivin, die Lektorin Susan Ryeland aus der Rahmenhandlung, ist sehr realistisch zeitgemäß dargestellt. Sie wird unfreiwillig in die Sache hineingezogen. Sie ist eine moderne Frau, mit einem Liebhaber, einem eher unsteten Privatleben, vielen Kontakten, und einer gewissen Trinkfestigkeit. Größer könnte der Kontrast wohl nicht sein. Die Dynamik des Buches ergibt sich gerade daraus, dass man als Leser beiden Fällen und beiden Detektiven gleichzeitig folgt – wobei sich alles bis zum Schluss unaufhörlich steigert und verzahnt. Man klebt förmlich am Lesesessel! Und ich muss sagen, dass man selbst als gewiefter Leser die Auflösung(en) wohl eher nicht von selbst erraten hätte. Sehr geschickt gemacht. Schade ist eigentlich nur, dass dem deutschen Leser durch die Tatsache der Übersetzung eine zentrale Deutungsebene verloren geht. Die Kapitelüberschriften aus der Binnenhandlung sind nämlich an einen englischen Kinderreim angelehnt, worin Elstern („magpies“) eine gewisse Rolle spielen. Daher auch der Orignaltitel des Buches, „Magpie Murders“. Aber das ist eigentlich ein kleinerer Kritikpunkt. Insgesamt überzeugt das Buch auf der ganzen Linie, durch eleganten, witzigen, anspielungsreichen Stil, und eine hintersinnige Handlung. Unbedingte Leseempfehlung!