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stricki

Posted on 18.8.2024

Das Medium Die Beelitz-Heilstätten müssen ein besonderer Ort gewesen sein, der seiner Zeit weit voraus war - mit Genesungsprogrammen für lungenkranke ArbeiterInnen, die sich einen solchen Luxus nie hätten leisten können und einem ganzheitlichen Ansatz, der auch vor ungewöhnlichen Heilungsmethoden und Experimenten mit dem Okkulten nicht halt machte. Heute eine beliebte Wohngegend für stadtmüde BerlinerInnen, die Ruhe und frische Luft suchen. Hier spielt ein wesentlicher Teil des Romans, und zwar um 1908 und 2020. Hier lernte 1908 die exzentrische Schriftstellerin Johanna das Medium Anna kennen. Eine hochinteressante Beziehung zwischen zwei ungewöhnlichen Frauen, die nicht unbedingt diejenigen sind, als die sie scheinen. Die verwöhnte Johanna, die ihr Heil in Anna sucht, die sich aber nicht vereinnahmen lässt, hin- und hergerissen zwischen dem Komfort, den ihre Gabe ihr ermöglicht, und dem Unbehagen, der mit ihrer begeisterten Anhängerschaft einhergeht und den Menschen, die sie als Scharlatanin abstempeln. 2020 kommt Enkelin Vanessa unverhofft in den Besitz von unveröffentlichten Manuskripten ihrer Großmutter Johanna, die zeitlebens unter der Trennung von Anna nach einem tragischen Zwischenfall litt. Vanessa, selbst von Zweifeln und depressiven Anflügen geplagt, ist fasziniert von der Geschichte der herrischen Johanna, die diese 1967 als hochbetagte, pflegebedürftige Frau in einem letzten Versuch, an ihren ersten literarischen Erfolg anzuknüpfen, niederschrieb. Mein Fazit: Das Cover des Buchs ist wunderschön und passt perfekt zum Inhalt. Und Ulla Lenze schreibt wundervoll: "Jedes Mal schabte der Schmerz ein bisschen Lebensfreude und Mut von einem ab."(S.73) "Um den Plötzensee brodelten die informellen Partys,die ganze Stadt lag wie ausgekippt auf jeder Grünfläche."(S.106) Die drei Geschichtsstränge beginnen vielversprechend und spannend. Am besten hat mir der Teil aus 1967 gefallen, wo die alte Johanna kämpft und leidet, diese Intensität hätte ich mir auch für den fortschreitenden Prozess im ersten Teil gewünscht, wo Johanna Anna gegen den Willen ihres Ehemanns "im Haus behält" und nicht müde wird, Anna für ihre Zwecke einspannen zu wollen. Mit Vanessa wurde ich leider nicht so richtig warm, aber vielleicht diente ihre Figur in erster Linie als Rahmenhandlung. Ein interessantes und ungewöhnliches Buch, dass ich gern gelesen habe und dass in mir den Wunsch weckte, diesen besonderen Ort besuchen zu wollen.

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