marcello
In diesem Jahr habe ich von Ursula Poznanski bereits „Die Burg“ gelesen, da ich sehr an der KI-Thematik interessiert war und generell mag, wie die Autorin mit Jugendbüchern aktuelle Themen spannend in den Fokus rückt. Dennoch war es nicht das ideale Buch, weil es mich in der Erzählweise und vor allem in der Charaktergestaltung nicht so recht zu überzeugen wusste. Deswegen wollte ich „Scandor“ schnell nachschieben, um gleich einen Vergleich der beiden Bücher zu haben. In der Tat lassen sie sich sogar sehr gut vergleich, denn „Die Burg“ und „Scandor“ haben zwar ein sehr unterschiedliches thematisches Korsett, aber in der Konsequenz ist es dennoch ein ähnlicher Endpunkt. Auf den gehe ich aus Spoilergründen nicht näher ein, aber er hilft dennoch sehr zu bergründen, warum „Scandor“ mir eindeutig besser gefallen hat. Denn angesichts dessen, worauf alles hinausläuft, ist leicht zu sagen, dass die Charakterarbeit viel, viel besser funktioniert hat. Mit Philipp und Tessa haben wir diesmal nur zwei Perspektiven, die kapitelweise oder sogar in den Kapiteln selbst fleißig gewechselt werden. Damit war es zum einen schon so, dass weniger Figuren etwas untereinander aufteilen mussten. Zum anderen war so auch klar, dass andere Figuren wirklich nur Nebenfiguren sind und damit auch mehr funktionell sind. Philipp und Tessa sind aber als Menschen entscheidend und ich fand, dass es gut gelungen ist, diese beiden in ihrem Kern abzubilden. Dabei sind sie auch sehr unterschiedlich, was es umso spannender gemacht hat, wie sie jeweils die Herausforderungen von Scandor gemeistert haben und welche Strategien sie sich zurechtgelegt haben. Auch wenn das Thema Lügen jetzt nicht am Zahn der Zeit ist, zumindest nicht in einem Ausmaß wie KI, war es spannend umgesetzt. Durch Fake News und auch Begriffe wie Lügenpresse etc. ist es sicherlich interessant, wie oft man tatsächlich lügt und dass man sich dessen oft gar nicht bewusst ist, weil viele Standardantworten, die gar nicht dem eigenen Empfinden entsprechend, einfach rausrutschen. Dementsprechend war es schon spannend aufgebaut, auch wenn es ein wenig beängstigend war, wie Scandor angebracht worden ist und was es für Fähigkeiten hatte. Richtig gelungen fand ich auch, dass von den ausscheidenden Teilnehmern im kleinen Rahmen der Moment des Ausscheidens geschildert wird. Damit gab es dann Einblicke, wie und warum gelogen wurde. Die Spannung hat aber auch erhöht, dass die meisten Figuren tatsächlich auf das Geld aus waren, oft auch ohne jegliche Rücksicht auf Verluste, so dass die Teilnehmer sich auch gegenseitig das Leben schwer gemacht haben. Ich hatte jedenfalls zwischendurch oft den Gedanken, wie lange ich wohl durchgehalten hätte. Mit den verschiedenen Challenges, aber auch den ganz normalen Herausforderungen des Alltags sind immer wieder abwechslungsreiche Szenen möglich gewesen, die zu unterhalten wussten. Das ist tatsächlich auch ein Vorteil gegenüber „Die Burg“, hier habe ich die Inhalte nicht so kritisch hinterfragt, so dass sich ein guter Sog eingestellt hat. Gerade durch den Rest bin ich regelrecht geflogen. Auch wenn auf eine Art die Auflösung so viel kleiner als der Aufwand erscheint, aber unterm Strich war das ganze Projekt ja dennoch echt, wenn auch mit Trittbettfahrern unterwegs. Aber für mich haben die Überraschungen am Ende funktioniert. Es gab immer mehr Hinweise und dennoch war es für mich nicht möglich, alles lückenlos zusammenzusetzen. Am Ende ist es zwar an wenigen Stellen etwas abrupt vorbei, aber letztlich fühlte es sich dennoch nicht unfertig an. Die Geschichte, die erzählt werden sollte, wurde erzählt, und es ist relativ leicht, sich von dort aus ganz eigene Gedanken zu machen. Fazit: „Scandor“ ist für mich eines der besseren Poznanski-Bücher, denn ich fand die Charakterarbeit bei Philipp und Tessa sehr gelungen. Aber genauso überzeugend war die Thematik an sich und dann die Herausforderungen zu erleben. Auch die letztlichen Zusammenhänge waren nicht alle sonnenklar, so dass ich bis zum Schluss gute Unterhaltung hatte.