Profilbild von hyperventilea

hyperventilea

Posted on 11.8.2024

Recht langsam erzählter, atmosphärischer Schwedenkrimi mit schwieriger Hauptfigur „Ich mochte diese Eigenschaft an mir nicht: immer das Schlimmste zu befürchten und es mir zugleich insgeheim herbeizuwünschen.“ In einem Wald unterhalb eines Hochsitzes im schwedischen Jämtland wird die Leiche einer Frau gefunden. Das Opfer wurde offensichtlich ermordet. Die ehemalige Journalistin Vera bekommt von ihrem früheren Chef den Auftrag, den Fall näher zu untersuchen. Ob es Vera, die aktuell als Hilfslehrerin arbeitet und mit einigen privaten Sorgen zu kämpfen hat, gelingt, die Hintergründe des Mordes aufzudecken? Sie muss dabei äußerst vorsichtig vorgehen, um nicht vom Täter bemerkt zu werden und selbst in sein Visier zu geraten… Der Roman schildert Veras Anstrengungen, die Wahrheit über den Mord herauszufinden. Zwischendurch geht es in einigen Passagen auch um die junge Maria, deren Freundin Elisabeth mit dem Auftauchen einer neuen Klassenkameradin plötzlich das Interesse an Maria verliert. Wie beide Handlungsstränge zusammenhängen, klärt sich im Verlauf nachvollziehbar. Die Geschichte ist bildhaft, lebendig und abwechslungsreich formuliert, liest sich angenehm unkompliziert und flüssig. Die 56-jährige Vera steckt in der Krise, sie muss mit einigen persönlichen Niederlagen umgehen: Ihre Ehe ist gescheitert. Ihr Vater wohnt im Pflegeheim. Ihre Arbeit als Journalistin hat Vera verloren, weil die Zeitung bei der sie beschäftigt war, eingestellt wurde. Während sie für den Journalismus eine große Leidenschaft hegt, erledigt Vera ihre aktuelle Tätigkeit an der Schule nur halbherzig und wenig motiviert. Außerdem ist Veras Wohnung ein einziges Provisorium. Zusätzlich hat die Protagonistin mit den Auswirkungen der Wechseljahre zu kämpfen. Immer wieder verliert sie die Kontrolle und stürzt mit Erinnerungslücken ab. Vera ist keine glatte, perfekte, eher eine in vieler Hinsicht versehrte, vom Leben gezeichnete Hauptfigur. Sie tat mir - so wie sie sich selbst auch - leid. Identifizieren konnte ich mich mit Vera allerdings nicht so recht, weil ich ihr Verhalten oft nicht ganz nachvollziehen konnte. Für mich hätte Vera gerade im Privatleben mehr Willen und Mut zur Veränderung zeigen können, sie war mir in diesem Lebensbereich einfach zu passiv. Zum Glück hat Vera Mitmenschen, die sie unterstützen und die sie aus ihrem Tief befreien möchten. Bleibt zu wünschen, dass ihnen das irgendwann gelingen mag. Bemerkenswert finde ich, dass Vera als Journalistin durchaus Tatendrang und Biss beweist, all das, was ihr im Privaten fehlt. „Im Unterholz“ hat eine ganz eigene, recht dunkle Atmosphäre. Vera ist vom Leben deprimiert und genau das wird auch sehr authentisch im Roman vermittelt. Sie stößt bei ihren Nachforschungen auf erschütternde, traurige, aber durchaus auch faszinierende menschliche Abgründe. Die Geschichte wird ausführlich, intensiv und schlüssig erzählt. Gerade den Anfang empfand ich als etwas langatmig. Ich tat mich zunächst schwer, in die Handlung hineinzufinden. Dass sich im Verlauf raffinierte Wendungen im Bezug auf das Opfer ergeben, hat mich positiv überrascht. Gekonnt wird hier mit den Erwartungen der Leser gespielt. Ich lese sehr gerne Skandinavienkrimis. Dieser gehört nicht zu meinen absoluten Favoriten. Sprachlich und und atmosphärisch hat er mich durchaus überzeugt, aber insgesamt war mir „Im Unterholz“ doch zu negativ. Ich hatte meine Schwierigkeiten mit der ziemlich speziellen Hauptfigur. Dennoch ein lesenswerter Krimi mit interessanter Grundidee.

zurück nach oben