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Posted on 29.7.2024

*Bemerkenswert zeitloser Klassiker* Bei dem faszinierenden Roman „Ex-Wife" von US-amerikanischen Autorin Ursula Parrott handelt es sich um einen wiederentdeckter Klassiker aus den 1920er Jahren, der uns einen intimen Einblick in die Befindlichkeiten einer jungen Frau während ihrer Trennung und Scheidung gewährt und uns tief ins New York der schillernden Goldenen 1920er Jahre eintauchen lässt. Als zeitgeschichtliches Zeugnis ist der Roman, in dem viele gesellschaftliche Konventionen hinterfragt werden, auch beinahe 100 Jahre nach seinem Erscheinen mit seinen zeitlosen, immer noch aktuellen Themen von Relevanz und zugleich ein spannendes Zeitdokument. Der 1929 anonym veröffentlichte, für damalige Zeiten bahnbrechende Roman wurde rasch ein Bestseller und war sogar zunächst kommerziell erfolgreicher als F. Scott Fitzgeralds „The Great Gatsby", bis das Werk dann aber in Vergessenheit geriet. Insbesondere die bemerkenswert unverblümte Thematisierung von damaligen Tabus wie die offene Erkundung weiblicher Sexualität, vorehelicher Sex, außereheliche Affären und Abtreibung aber auch die finanzielle Unabhängigkeit von Frauen, Selbstfindung und das Ausloten von weiblicher Identität und modernen Beziehungen in einer sich rasant wandelnden Welt sind äußerst aufschlussreich und unterhaltsam zu lesen. Im Mittelpunkt der Geschichte steht die 24-jährige Protagonistin Patricia, die, nachdem ihr Ehemann sie verlassen hat, ihr Leben völlig neu ordnen muss und beschließt, sich ins pulsierende New Yorker Nachtleben zu stürzen anstatt vollständig in Selbstmitleid zu versinken. Mutig setzt sie sich über gesellschaftliche Erwartungen hinweg und beschreitet schließlich selbstbewusst ihren eigenen Weg. Parrott versteht es, ein faszinierendes und sehr facettenreiches Bild der turbulenten Stadt während der legendären Roaring Twenties zu zeichen. Sehr eindrucksvoll erhalten wir aufschlussreiche Einblicke in jene Zeit des Umbruchs und der sich schnell verändernden gesellschaftlichen Veränderungen. Dank der lebendigen Schilderungen können wir uns rasch in den damaligen Zeitgeist hineinfühlen und erleben hautnah die trotz Prohibition alkoholgeschwängerte Atmosphäre jener flirrenden Ära mit. So begleiten wir die unternehmungslustige, modebewusste Protagonistin neben ihren Einkaufstouren auch zu ihrer Arbeit in einer Werbeagentur und vor allem in Manhattans Nachtleben mit seinen Flüsterkneipen und Clubs. Detailliert beschreibt sie die damals beliebten Drinks und modischen Outfits, angesagte Lokale und Treffpunkte sowie Schauplätze in der Stadt. Hochinteressant und aufschlussreich sind auch die Einblicke in die Stellung der Frauen in der männlich dominierten Arbeitswelt und die in der Gesellschaft verbreitete Doppelmoral. Parrott ist eine vielschichtige, feinfühlige Charakterisierung ihrer Protagonistin gelungen, die wir zwischen ihren diversen Freundschaften und Affären mit all ihren Höhen und Tiefen, Enttäuschungen und Rückschlägen erleben. Glaubhaft schildert sie Patricias beeindruckende persönliche Entwicklung, die allmählich an der Trennung von ihrem Ex-Mann reift, sich vom traditionellen Frauenbild befreit und auf dem Weg zu einem erfüllten, selbstbestimmten Leben, eine neue, abgeklärtere Einstellung zu Liebe, Beziehungen und Ehe erlangt. Der Schreibstil der Autorin wirkt erstaunlich zeitgemäß, ist prägnant, bisweilen humorvoll und erstaunlich unverblümt – mit einem netten angestaubten Charme. Vor allem aber bei der nicht immer fesselnden Inszenierung der Handlung merkt man dem Roman aber doch das Alter an. Sehr lesenswert ist nicht nur das interessante Vorwort von Mareike Fallwickl, in dem der historischen Kontext und die Bedeutung des Werks für die Literaturgeschichte beleuchtet werden, sondern auch das von Parrots Sohn im Jahr 1989 verfasste Nachwort, in dem wir sehr interessante Einsichten in das Leben der überaus bemerkenswerten Autorin und ihr in Vergessenheit geratenes Meisterwerk erhalten.

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