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Buchdoktor

Posted on 23.7.2024

Einheimische Surfer haben den angesagten Surf-Spot an der Algarve fest unter ihrer Fuchtel: Locals dürfen eine Welle zuerst anpaddeln - und wer das T-Shirt der lokalen Surf-Schule trägt, muss sich hinten anstellen. Als die Ostdeutsche Johanna allein ihren ersten Versuch wagt, erhält sie die klare Ansage der Surf-Lehrerin Luz/Lúcia Oliveira, die gerade eine Gruppe unterrichtet: Der Ozean ist gefährlich hier, du solltest in meinen Kurs kommen. Überhaupt kennt Luz „diese Berliner“ zu gut, die sich für cool halten. Icherzählerin Johanna, Ende 20 und in Ostdeutschland sozialisiert, arbeitet seit ihrer Kindheit als Synchronsprecherin. Ihre jahrelange Verbindung zu festen Schauspielerinnen macht es ihr unmöglich, zu verreisen oder einen Auftrag abzulehnen. Johanna arbeitet, wenn Anfragen kommen; sie hat nichts anderes gelernt als Pflichtbewusstsein. Angesichts ihres beruflichen Emotions-Overkills war ein Tapetenwechsel längst überfällig. Als sich Johannas Portugal-Aufenthalt überraschend verlängert, bieten Luz und ihre Schwester Maja der Besucherin Arbeit als Guest-Managerin an gegen Unterkunft und Surfstunden. Ständig zur Verfügung stehen, ohne dass Geld fließt – ein Geschäftsmodell, das an Sektenstrukturen erinnert. Im Wechsel mit Rückblenden in Johannas Kindheit und zu ihrer derzeitigen Ex Rosa in Berlin, sieht sie sich in Portugal einer woken Clique von Expatriats und Digitalen Nomaden konfrontiert, die ihre Lebensweise für ökologisch verantwortungsvoll halten … Urlaub unter queeren Frauen kann alles andere als erholsam sein. Für einige der alternativen Lebensweisen muss sie zunächst den Insider-Code lernen, um Gesprächen folgen zu können. Johanna erfährt, dass Luz als Profisurferin und Beinahe-Weltmeisterin eine Berühmtheit ist und ihre Karriere in dem Moment beendet war, als sie öffentlich eine Frau küsste. In dreisprachigen Dialogen lernt Johanna nicht nur, dass Surfweisheiten Lebensweisheiten sind, sondern auch, dass sie Menschen gern einer Sprache, Kultur oder Nationalität zuordnet. Das Sinnieren, warum in ihrem Leben stets andere den Ton angeben, zwingt Johanna schließlich zur Auseinandersetzung mit ihrer Herkunft und erlebten Grenzüberschreitungen im Beruf. Nicht nur Johanna muss im winterlichen Portugal ihre Urteile zurechtrücken und sich nichtdiskriminierende Sprache aneignen, Laura Naumanns Leser:innen ebenfalls. Fazit „Ein Haus aus Wind“ erzählt mit trockenem Humor von der Selbstfindung der pflichtbewussten Johanna und bietet am Schauplatz Algarve sehr viel mehr als Surf-Erlebnisse.

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