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EX-WIFE, Gesellschaftsroman von Ursula Parrott, 318 Seiten, erschienen im Fischer-Verlag. Wilde Skandale, misogyne Machtstrukturen und eine vergessene Starautorin: Dieses Buch hat ein fulminantes Comeback verdient. (Mareike Fallwickl) Es sind die Roaring twenties in denen dieser Roman spielt. Patricia ist 24 Jahre alt, sie war vier Jahre verheiratet, ihr Baby stirbt und ihr Mann betrügt sie, als sie ihm einen One-night-stand gesteht, ist er so tief beleidigt, dass er sich von ihr trennt. Zuerst trauert Pat ihrem Peter hinterher, findet einen gutbezahlten Job und gute Freundinnen, dann stürzt sie sich ins Nachtleben in New York, endlich nach unzähligen wilden, alkoholgeschwängerten Nächten, ist sie so weit, dass sie sich von ihm trennen kann und für eine neue Liebe bereit ist. Was für ein Buch, es hat Höhen und Tiefen, aufregende und langatmige Abschnitte und ein überraschendes Ende. Es besteht aus 17 Kapiteln die mit römischen Zahlen markiert sind, Liedzeilen, Gedichte Zeitungsausschnitte sind kursiv hervorgehoben, Notenzeilen der Rhapsody in blue, beleben das Schriftbild. Der Schreibstil ist flüssig und in Ich-Form aus Sicht der Protagonistin. Die Figuren sind kristallklar herausgearbeitet, tiefgründig charakterisiert, ganz besonders Patricia, das macht die Handlung authentisch und nachvollziehbar. Den Vergleich mit dem großen „Gatsby“ habe ich nicht entdecken können, einzig es spielt zur gleichen Zeit in den Staaten, während der Prohibition und es ist erstaunlich, wieviel trotz Alkoholverbot getrunken wird, Männer wie auch Frauen beginnen schon frühmorgens mit harten Getränken und beenden den Tag in Flüsterkneipen mit Cocktails. Trotz Schwangerschaft wird geraucht und getrunken. Mir kam es so vor als ob die Menschen im Buch wie Kerzen wären, die an beiden Enden gleichzeitig brennen. Dies ist wohl der Zeit nach dem ersten Weltkrieg zuzuschreiben. Die frauenfeindliche Stimmung der Zeit ist gut dargestellt, das Frauenschicksal klar definiert. Entweder sie werden geheiratet und enden in der Vergessenheit, oder sie machen Karriere und entscheiden sich für Promiskuität, sonst bleibt nur das Kloster. Frauen die mehr als ihre Gatten verdienen – ein no go. Mich hat erstaunt, dass dieses Buch wirklich schon vor über hundert Jahren spielt, einige Ansichten haben sich bis heute nicht geändert. Es dauerte schon eine Weile bis ich in Lesefluss gekommen bin, eine Zeit lang plätschert es mit Pats Erlebnissen so dahin, viel arbeiten, Klamotten kaufen, ausgehen, sich betrinken, Peter hinterhertrauern. Doch im letzten Drittel eine Veränderung, denn ihr begegnet ein ganz besonderer Mensch, dies gibt Pat am Ende die Gelegenheit über sich selbst hinauszuwachsen, das hat mich beeindruckt. Einziger Kritikpunkt, der Tod ihres Babys, an den Zeitpunkt des Todes und sein Alter kann sie sich gar nicht mehr richtig erinnern, mir kam es fast vor als ob es eine Erleichterung für sie war, dass sie wieder „frei“ war. So handelt keine Mutter. Gerne hätte ich Näheres erfahren z.B. die Todesursache. Insgesamt ein Gesellschaftsroman der die wilden 20er, aus Sicht einer Frau, gut wiederspiegelt. Einiges hätte ich mir anders gewünscht. Ein Buch das ich gerne empfehlen kann, wer sich für diese Zeit begeistern kann, bekommt interessanten Lesestoff. Von mir 4 Sterne.