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Buchdoktor

Posted on 15.7.2024

Evan braucht Tapetenwechsel, u. a. um den Tod seiner kleinen Tochter zu verarbeiten, und mietet an der nordirischen Ostküste ein Cottage. In Ballybrady gehen die Uhren noch anders, das muss er im Kontakt mit seiner Vermieterin Grace feststellen. Auch wenn sie Evans Miete dringend zum Lebensunterhalt braucht, geht Grace ihm möglichst aus dem Weg. Touristen verderben ihr den Tag mit ihrem Lärm und ihrer Unordnung – wie der berühmte „Droschkenkutscher“ flucht Grace offenbar konstant vor sich hin. Nachbar Frank erstattet Grace jedoch pflichtbewusst Bericht, was in ihrem ehemaligen Elternhaus vorgeht. Auch wenn draußen die Welt untergeht, funktioniert die Nachbarschaft in Ballybrady zuverlässig. Becky, immer positiv gestimmte Angestellte im Dorfladen, denkt derweil an den (2020) bevorstehenden Corona-Lockdown und schwatzt ihren Kunden die letzten Handdesinfektionsmittel auf. Die Abstandsregel hält sie streng ein, aber Evan darf sich aus ihrer Teekanne bedienen. Als das Kontaktverbot verkündet wird, findet sich Evan unerwartet gemeinsam mit seinem hörbehinderten Sohn Luca in einer winzigen Kate am Meer. Dass seine Frau den Achtjährigen nicht betreuen kann, stand nicht auf Evans Agenda. Von Home-Office kann für Evan keine Rede sein; denn für eine mittelgute WLAN-Verbindung muss er sich durch die Hintertür in den Pub schleichen. Die Trauer um die kleine Jessie hat ihn von seiner Frau entfremdet, am Arbeitsplatz kriselt es – und über Lucas Zukunft müssten die Eltern endlich sprechen. Als Evan, der einmal sehr sportlich war, mit Graces Kajak in Seenot gerät, rudert die sonderbare Alte kraftvoll auf die irische See hinaus, um ihn wieder einzusammeln. Sehr anrührend wächst eine Beziehung zwischen Vater, Sohn und der knorrigen Grace, die offenbar ein Händchen für andere kauzige Typen hat. Mit Schlapphut, uraltem Poncho und einem bemerkenswerten Vorrat an Flüchen wirkt Grace wie aus einer Schauergeschichte entstiegen; sie wird allein durch ihre Gegenwart Evan den Kopf zurechtsetzen. Doch zuvor taucht Graces kesse Nichte Abbie auf. Sie weiß, wo im Haus die Teekanne steht und hat beschlossen zu bleiben. Die neue Konstellation erfordert von allen Beteiligten Verantwortung und zwingt sie, ihr Selbstbild neu auszutarieren. Fazit Roisin Maguire nutzt das bekannte Setting einer durch Abwanderung bedrohten Dorfgemeinschaft. Im Kontakt mit Besuchern ergeben sich unerwartete Einsichten und die Hoffnung auf ein gemeinsames Leben an einem Ort, der Menschen guttut. Die Befreiung der Figuren von der Last ihrer Traumata und Außenseseiter-Rollen, ihr Erwünscht-Sein in der kleinen Gemeinde schafft in Maguires Roman einen kräftigen Wohlfühl-Effekt.

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