Wedma
Schon lange wollte ich ein gutes Buch zum Thema Altenpflege lesen. Hier habe ich eine sehr gute Wahl getroffen. Die beiden Autoren haben Wunderbares geleistet. Sie haben es gewusst, wie sie die informative Seite mit der Emotionalen verbinden und das auf möglichst behutsame und rücksichtsvolle, aber auch unterhaltsame Art und Weise. Marcel Mayr, ein wohl erzogener junger Mann, klug und empathisch noch dazu, hatte mit 16 seine Ausbildung zum Altenpfleger angefangen, und arbeitete einige Jahre in diesem Beruf. Was er zu berichten hat, ist nicht nur Insiderwissen, was aber schon an sich sehr kennenlernenswert ist. Es menschelt mitunter auch sehr. Man wird auch emotional mitgenommen. Bei diesem Thema kein wunder eigentlich. Dennoch. Der Hauptkonflikt, der oft genug zur Sprache kommt und wie ein roter Faden durch das Buch geht, ist die Diskrepanz zwischen dem Grundgedanken der Altenpflege, den Marcel auch lebt: Er ist stets bestrebt, seinen Patienten zu helfen, denkt dabei an ihr Wohlbefinden, ihre Würde usw. Dagegen steht der alles beherrschende neoliberale Ansatz der heutigen Wirtschaft, dem sich auch die Altenpflege beugt, er kennt solche Begriffe wie Würde und Rücksicht nicht. Geld steht über allem. Und gerade in der Altenpflege wird dieser Konflikt deutlich sichtbar. Rein menschlich handelt Marcel richtig, häuft aber auch die Überstunden an, die sein Chef oft nicht akzeptieren will, um nur ein Beispiel zu nennen. Auf den Punkt gebracht steht es auf S. 149: „Das Pflegesystem wurde so lange Zeit monetarisiert, die Politik hat mir den Entscheidungen, die sie getroffen hat, und auch mit den Entscheidungen, die sie nicht getroffen hat, nicht nur die Altenpflege, sondern die Pflege generell finanziell so sehr gedrückt, dass die Arbeit am Menschen mittlerweile zweitrangig ist und sich alles nur noch darum dreht, wie das meiste Geld mit dem geringsten Einsatz herausgeholt werden kann.“ Kein Wunder, dass man eines Tages nicht ein Teil dieses Systems sein mag, denn das bedeutet auch tagtägliche Selbstausbeutung zugunsten der wenigen, die davon zu profitieren wissen. Auch die Geschichten aus dem Leben findet man hier reichlich: Die Schicksale der Menschen, die mitunter auch die Haare zu Berge stehen lassen. Aber auch die sozusagen erfolgreichen Lebensverläufe, die auf ihre eigene Art zu denken geben. Einige Lebensweisheiten findet man hier, eingebettet in diese Geschichten aus dem Leben, denn die Fragen des Glücks, des Sinns des Lebens treiben den jungen Marcel rum, gerade weil er viel mit den Alten zu tun hat, die in der Lage sind, auf das Leben zurückzublicken und ihre Schlüsse zu ziehen. Sehr schön, gekonnt, erzählt ist das Ganze. Mit Sinn und Verstand. Sehr gern gelesen.