fernweh_nach_zamonien
Ungewohnt düster, aber gewohnt gesellschaftskritisch. Ein spannender Thriller mit Tiefgang, aber einigen Abstrichen. Inhalt: Die 16-jährige Lena Palmer verschwindet spurlos. Drei Tage später taucht ein verstörendes und brutales Video auf, dessen Views durch die Decke gehen ... Ungewollte Hauptdarstellerin: die vermisste Lena! BKA-Kommissarin Yasira Saad soll nicht nur das verschwunde Mädchen wiederfinden, sondern auch die Täter identifizieren. Jedoch verbreitet sich nicht nur das Video rasant: Schon nach kurzer Zeit gewinnt die rechtsradikale Gruppierung "Aktiver Heimatschutz" an Aufmerksamkeit und neuen Anhängern. Wird Yasira die Täter finden, bevor Lynchjustiz und Chaos regieren? Einbandgestaltung und Cover: Das knallige Pink zieht Aufmerksamkeit an und das Cover erzeugt sofort Neugier. Nicht nur, weil die es bis aus wenige Schatten unkenntlich bleibt, sondern auch weil der Hinweis "sensible Inhalte" das Kopfkino erst Recht in Gang setzt. Auf der Rückseite findet sich statt des gewohnten Klappentextes lediglich die Anmerkung "Diesem Inhalt vertrauen". Trotz der kreativen Einbandgestaltung gibt's für die Qualität Punktabzug. Da (wie auch bei Quality Land) auf einen Schutzumschlag verzichtet wurde und die Kanten der Buchdeckel blank liegen, ist das Buch - egal wie vorsichtig man ist - unfassbar anfällig für angestoßene, abgeriebene Ecken. Auch löst sich die Folie sehr schnell, da sie nicht umgeschlagen ist. Mein Eindruck: Ein Thriller von Marc-Uwe Kling ... ob das was taugt? Bezeichnet wird sein neues Werk als "brisanter und hochspannender Gegenwartsroman" auch wenn sich typische Elemente eines Thrillers finden lassen. Das Genre ist so weit von Klings bisherigen Romanen entfernt, dass ich tatsächlich beim Lesen zum ersten Mal nicht automatisch seine Stimme im Ohr hatte. Auch wirkt das von ihm gelesen Hörbuch seltsam ungewohnt. Die Grundstimmung ist düster, bedrückend und die Auflockerung durch kleine Sticheleien zwischen den Ermittlern reichen nicht aus, das beklemmende Gefühl zu überdecken. Die in anderen Büchern liebgewonnenen Anspielungen, Filmzitate und andere Easter Eggs wären in diesem Fall auch alles andere als angemessen. Das ganze Szenario der aus dem Ruder laufenden Aktionen der rechtsradikalen Gruppierung und (gespoilert wird hier nicht) auch das Ende ist erschreckend real. Nicht allzuferne Zukunftsmusik und daher umso beklemmender: KI, Rassismus, unkontrollierte Verbreitung von (Fake-)Inhalten uvm. Die Konflikte zwischen den Charakteren sind interessant, doch an vielen Stellen wirkt alles zu viel und plötzlich geht's rasant dem Ende zu. Parallelen zum Schreibstil anderer Thrillerautoren (deren Bücher ich geradezu verschlinge), sind kaum zu übersehen, doch hätte ich mir aufgrund der Kürze an vielen Stellen weniger "schmückendes Beiwerk" und dafür mehr Handlung gewünscht. Insgesamt 3,5 von 5 Sterne für dieses Thriller-Debüt. Wer bisher jedes Buch von Marc-Uwe Kling gelesen hat, kommt vermutlich auch an diesem nicht vorbei. Man sollte jedoch darauf gefasst sein, dass es mit seinen anderen Romanen, Kurzgeschichten usw. nur schwer mithalten kann. Hörbuch-Tipp: Zeitgleich ist das Buch in ungekürzter Fassung als Lesung erschienen. Marc-Uwe Kling verleiht seinen Charakteren immer eine ganz besondere Stimme, so dass es sich lohnt, auch dort hereinzuhören. Dem beklemmenden Szenario ist es allerdings geschuldet, dass das Hörbuch dieses Mal ohne einen Hauch Känguru auskommen muss. Fazit: Eine Überraschend düstere und beklemmende Thematik und auf den ersten Blick eher ein 08/15 Thriller. Jedoch mit Gesellschaftskritik und (sehr realer) Zukunftsmusik. ... Rezensiertes Buch: „Views" aus dem Jahr 2024