Michelle-Marie
Sobald man der griechischen Mythologie über dem Weg läuft, braucht es nicht lange, um auf den Trojanischen Krieg zu stoßen. Viele Helden sind aus diesem Krieg hervorgegangen. Achilles, Odysseus, Hektor, Paris… Aber was geschah eigentlich mit den Frauen, Töchtern und Schwestern? In dieser Geschichte geht es nicht um den Triumpf und reichen Erfolg der Männer, sondern um das Leid und die Hoffnung der Frauen. In den Geschichten von Hekabe, Kassandra, Polyxena, Iphigenie, Penelope, Oinone und vielen weiteren Frauen werden die Schattenseiten von diesem Erfolg gezeigt und die Frauen bekommen ihre Stimme, welche in den Geschichten oftmals untergeht. In dieser Buchbewertung möchte ich nicht nur meine Meinung zu diesem Buch äussern, sondern den Frauen auch hier eine leise Stimme geben. Einige Frauengeschichten, die mich sehr begeistert haben, werde ich hier kurz niederschreiben und beleuchten was mich daran fasziniert hat. Vorab: Das Buch hat mich von Anfang an gefesselt. Die Autorin geht nicht chronologisch vor und man steigt direkt mit dem Untergang der Stadt ein. Und auch wenn man sich immer wieder ein wenig einfinden muss, wo man sich befindet, macht es auch gerade, dass das Geniale der Geschichte aus! Immer wieder springt man von der einen Geschichte zur anderen und dennoch fügt sich bis zum Schluss ein wunderbares Bild zusammen. Auch der Schreibstil hat sehr gut zum Buch gepasst. Ich brauchte zwar am Anfang ein wenig Zeit, um die vielen Umschreibungen einordnen zu können, aber danach hat es mich einfach nur noch gepackt. Ich werde sicherlich noch mehr Bücher von der Autorin lesen! Die erste Geschichte, die ich gerne näherbringen möchte, handelt von Iphigenie, die viele auch aus dem verarbeiteten Werk von Johann Wolfgang von Goethe kennen. In „Iphigenie auf Tauris“ lernen wir Iphigenie als eine sehr verantwortungsbewusste, ehrliche, reine und selbstlose Persönlichkeit kennen. In dem Buch von Natalie Haynes wird sie als ein junges Mädchen vorgestellt, was sich ein glückliches Leben an ihrem versprochenen Ehemann Achilles wünscht. Mit dem Vorhaben ihren zukünftigen Ehemann zu ehelichen, reist sie mit ihrer Mutter Klytämnestra zu dem Lager, wo ihr Vater Agamemnon mit seinen Soldaten nach Troja aufbrechen möchte. Jedoch als sie am Lager auftaucht, erwartet sie eine erdrückende Stimmung und niemand von den Soldaten traut sich, ihr in die Augen zu blicken. Als sie am nächsten Morgen ihren König auf einem Altar stehen seht, graust es ihr, was sich ihr erwarten wird. Der König zückt ein Messer und Iphigenie bekommt nur noch mit wie ihre Mutter schreit und sich gegen die Soldaten auflehnt. Iphigenie wurde von ihrem eigenen Vater geopfert. Für bessere Winde nach Troja. Auch wenn nach Überlieferungen und auch nach Goethes Werk Iphigenie weiterlebt (weil sie von Artemis gerettet wird und auf Tauris gebracht wird), finde ich die Arroganz der Feldherrn in dieser Geschichte sehr präsent. Der Vater opfert seine eigene Tochter, damit er in den Krieg ziehen kann. Dieser Absurdität muss man sich erst einmal bewusst werden. Ich finde dieser Teil der Geschichte wird zu oft vergessen, dadurch das es im Goethes Werk kaum beachtet wird. Dadurch geht mir das Schicksal von Iphigenie noch näher! Oinone, Bergnymphe und Tochter des Flussgottes Kerbes, wird die erste Frau von Paris. Dieser wurde von seinen Eltern, Hekabe und Priamos ausgesetzt, weil seiner Mutter in einem Traum prophezeit wurde, dass ihr Sohn der Untergang Trojas sein wird. Paris wächst bei einem Hirten auf und lernt dort dann die Bergnymphe Oinone kennen. Sie heiraten und bekommen einen gemeinsamen Sohn. Als dann Paris von Zeus gedrängt wird den goldenen Apfel Athene, Aphrodite oder Hera zu geben, die sich darum stritten, versprach Aphrodite ihm die schöne Helena. Oinone verlässt er und lässt sie und ihren Sohn auf dem Hügel zurück, ohne einen Abschied. Erst zehn Jahre später, als das kleine Kind schon zu einem Jugendlichen herangewachsen ist, kommt Paris verwundet zurück nach Hause, und fleht Oinone an ihn gesund zu pflegen. Doch diese ist so verletzt von seinem Verhalten, dass sie ihm keine Hilfe anbietet. In weiteren Überlieferungen bereut sie diese Entscheidung und schmeißt sich dann mit ihm in die Flammen. Ich finde es aber besonders gut, dass dieses Schicksal nicht eingetreten ist im Buch, weil ich finde, Oinone muss sich nicht entschuldigen für ihre Entscheidung und dafür Büße tun, wie sie es in den anderen Überlieferungen tut. Paris hatte dieses Verhalten verdient und Oinone muss nicht als sittlich dargestellt werden und sich auch in die Flammen werfen! Penelope, die Frau des Helden Odysseus, wird mit ihrem Neugeborenen allein gelassen, als ihr Mann in die Schlacht zieht um Troja. Jedoch kehrt er auch nach den 10 Jahren Krieg nicht wieder zurück. Penelope schreibt ihm in diesem Buch, verzweifelte Briefe, die ihn dazu animieren sollen, wieder zu ihr zurückzukommen. Doch Odysseus möchte weiterhin auf seinen Reisen bleiben. Er trifft auf die Zauberin Circe, bleibt bei ihr und bekommt mit ihr laut Mythos sogar zwei Kinder. Seine Frau dagegen sitzt verzweifelt zu Hause und wartet auf ihren Mann, treuergeben, und er bleibt extra fort und genießt das Leben. Dann landet er bei der Kalypso, die ihn zu ihrem Geliebten macht. Widerwillig bleibt Odysseus und teilt auch hier wieder sein Bett mit ihr. Erst nach sieben Jahren setzt sich Athene dafür ein, dass Odysseus wieder zurück nach Hause kehren kann. Seine Frau, welche seit 20 Jahren auf ihren Mann gewartet hat, kommt die Rettung nah, denn schon mehrere Freier haben es auf sie abgesehen. Hätte sie ihren Mann während dieser Zeit betrogen, wäre es eine Schande gewesen. Bei ihm konnte man drüber hinwegsehen, dass er mit weiteren Frauen Kinder gezeugt hatte. Nicht nur wegen diesen berührenden Geschichten, sondern auch vom Gesamtkonzept hat mich dieses Buch mitgerissen und inspiriert. Ich würde es jedem ans Herz legen, der griechische Mythologie mag oder sich damit mehr auseinandersetzen möchte. Eines Tages werde ich es auch noch einmal lesen! Für mich war es ein absolutes Jahreshighlight! Bewertung: 5+++ von 5