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nicole_leseeule_36

Posted on 22.6.2024

Bewegend, mitreißend und ohne Kitsch erzählt Julia Dibbern in „Unter Wasser ist es still“ von der vielleicht letzten Chance einer jungen Frau, sich ihren schlimmsten und besten Erinnerungen zu stellen. Mit einen unheimlich schönen Zitat beginnt der Roman und leitet dann mit der Vergangenheit in Soeterhoop an der Ostsee ein, die eine besondere Wende für alle und vor allem für Maira Bedeutung hat. Maira, heute 34, ist inzwischen Restauratorin und haucht überwiegend alten Möbeln neues Leben ein. Sie lebt in Frankfurt und ihr Chef möchte sich zur Ruhe setzen. Er bietet Maira die Übernahme des Geschäfts an. Hierzu muss sie jedoch in die Vergangenheit reisen und einiges regeln. Dies bringt sie zurück zu ihrer Kindheit, ihrer Jugend und ihres junges Erwachsensein. Vor ihrem halben Leben hat plötzlich alles eine Kehrwende genommen und ihre noch junge Mutter ist von ihr gegangen. Bis dahin musste sie immer stark sein, war eine lebendiges junges Ding und hat schon viel auf ihren eigenen Schultern ausgemacht. Sie und ihre Mutter waren ein eingespieltes Team, zwar alleine, aber da waren auch noch Mairas Freunde. Heute will Maira sich von dem alten Grundstück, dem Haus und den ganzen Erinnerungen verabschieden. Es ist eine Reise in die Vergangenheit mit den entsprechenden Rückblenden, ein Kampf gegen eine Schuld, Zeit des Verzeihens und ein wirklicher Blick auf alles Geschehene. Diese Geschichte zieht einen in einen Sog und man möchte gar nicht aufhören das gelesene mitzuerleben. Trotz der Melancholie, der Traurigkeit, der schweren Ernsthaftigkeit, gleiten die Zeilen ganz leicht und einfach einnehmend an einem vorbei. Es gibt schöne Momente, Erinnerungen, erschreckende Erlebnisse und eine erschütternde Hintergrundgeschichte. Dafür gibt es geschriebene Zeilen einer liebenden Mutter und viele Gegenstände sowie Orte, die etwas zu erzählen haben. Im Roman finden sich aber auch amüsante Momente, viele gefühlvolle, leidenschaftliche und echte Momente, emotionale Augenblicken, leichte sinnliche und verstohlene Zeiten, authentische Charaktere und eine sagenhafte meervolle Landschaft. Maira hat sich eine Schutzmauer aufgebaut, die kaum jemand einreißen kann, wenn sie es nicht zulässt. Sie lässt nicht zu viel Nähe zu, möchte sich nicht dauerhaft binden, hat wenige Freunde und hat die lebhafte Maira schon lange Zeit zurückgelassen. Erst in der alten Heimat findet sie so langsam wieder zu sich, überwindet Ängste, findet alte Freunde wieder und trifft Entscheidungen für die Zukunft. Aber am wichtigstes, sie lernt sich selbst zu vergeben und kann einen Abschluss finden. Alle mitwirkenden Charaktere geben der Handlung ihren eigenen Schwung. Einige von ihnen sind etwas rätselhafter und zeigen sich auch nicht gänzlich, aber dennoch reicht ihre Darstellung für den Handlung völlig aus und lassen Raum für eigene Spekulationen. Der Schreibstil ist einfach nur wunderbar und die Liebe zum Wort und ihrer Ausdrucksweise spürbar. Es liest sich einfach nur sehr angenehm, stilsicher und ist mit einer leichten Brise Humor, selbstironischen Zügen, einer verletzlichen und emotionalen, aber fesselnden Leidenschaft versetzt. Die einzelnen Leseabschnitte tragen nur eine Überschrift und haben unterschiedliche Leselängen. Die Geschichte beginnt im Erzählstil und wechselt dann in die Ich-Perspektive aus Mairas Sicht. Von Kathis stammen die Briefe an Maira und auch eine kurze männliche Sicht stiehlt sich immer wieder hinein. Das Hardcovereinband gefällt mir unheimlich gut. Es dominiert nicht, ist leicht an die Landschaft der Ostseeküste angepasst und passt sehr schön zur Handlung. Mein Fazit: Ein sehr bewegender, berührender und ernsthafter Roman über die Schicksale eines Lebens, seine Auswirkungen und seine Wendungen. Eingebettet in Natur, Meer und ihre Bewohner. Ein Roman, den ich nur ungerne aus der Hand legte und eigentlich auch gar nicht enden lassen wollte.

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