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rumblebee

Posted on 22.11.2018

Bei diesem Buch habe ich ständig zwischen Begeisterung und Verzweiflung geschwankt - und habe letztlich entdeckt, dass beides eventuell gar nicht so weit voneinander entfernt ist. Begeisterung stellte sich ein ob der vielen, wundervoll durchdachten und sprachlich fein ziselierten Passagen. Verzweiflung aber auch, da das Buch mich dazu zwang, von der Erwartungshaltung einer "Handlung" gründlich Abschied zu nehmen. Sicher geschieht in diesem Buch etwas, aber im Laufe der Seiten wird doch deutlich, dass dies nicht viel mehr als ein "Gerüst" ist für die philosophischen Betrachtungen des Autors. Man kann die Handlung, ohne jegliche Spoiler-Gefahr, in wenigen Sätzen zusammenfassen - eben weil es darauf (fast) nicht ankommt. Ein alternder Lehrer für Latein und Griechisch, der in Bern arbeitet, wird durch die Begegnung mit einer geheimnisvollen Portugiesin aus seinem beschaulichen Dasein gerissen. Tektonische Platten scheinen in ihm in Bewegung zu geraten, und er kann sich nicht dagegen wehren. Er reist spontan nach Lissabon, um einem geheimnisvollen Autor nachzuspüren, einem portugiesischen Adligen. Auf diesen wurde er aufmerksam, als er - die geheimnisvolle Frau suchend - sich in eine fremdsprachige Buchhandlung verirrte. Er bricht sämtliche Brücken hinter sich ab, und sucht alle Personen auf, die diesen Amadeu de Prado gekannt haben. Seine Identifizierung mit dem geheimnisvollen Autor geht so weit, dass er sich seinem vorigen Leben komplett entfremdet. Merkwürdige Schwindelanfälle zwingen ihn schließlich, aus medizinischen Gründen kurzfristig in die Heimat zurückzukehren. Das Buch endet komplett offen Damit ist alles gesagt, und doch nichts. Das Buch ist "als Buch" sicherlich angreifbar. Vieles bleibt einfach ungeklärt. Warum taucht diese Frau nie mehr auf? Wie konnte Raimund Gregorius nach nur einem Schallplatten-Sprachkurs in die Fremde aufbrechen? Würden komplett fremde Leute wirklich einem dahergelaufenen Schweizer ihre Tür öffnen? Was sollen diese ständigen spontanen Ausflüge, die zu nichts führen? Hat er nun etwas aus Prados Leben gelernt, oder nicht? Wie wird es ihm ergehen, wird er gesund? Wären diese Fragen befriedigend geklärt worden, könnte man das Buch auch als "Roman" ernst nehmen. So aber ist es überwiegend philosophische Abhandlung. Allerdings eine grandiose Abhandlung! Sicherlich sind die Passagen, die teils aus Auszügen aus Prados Buch, teils aus Gregorius' eigenen Gedanken bestehen, nicht leicht zu lesen. Ich gebe sogar zu, ich habe oft mehrere Tage Pause gemacht, weil ich von 60 - 100 Seiten so "gesättigt" war. Man kann dieses Buch einfach nicht zur Unterhaltung lesen; man wird gezwungen, etliche Gedanken auch auf sich zu beziehen. Genau darin mag auch sein Wert liegen. Ich würde das Buch nur solchen Lesern empfehlen, die langsames Lesen gut gelernt haben - und die ein wenig philosophisch geschult sind.

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