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*Bewegende Reise in die Vergangenheit* Nach ihrem fesselnden historischen Roman „Die Marschallin“, in dem sich die Schweizer Autorin Zora del Buono dem bewegten Leben ihrer Großmutter väterlicherseits Zora del Buono angenommen hat, beschäftigt sie sich auch in ihrem neuen autofiktionalen Roman „Seinetwegen“ mit der eigenen, äußerst vielschichtigen Familiengeschichte. Zora del Buono nimmt uns mit auf eine sehr persönliche und berührende Reise, in der sie den näheren Umständen des frühen tragischen Unfalltods ihres Vaters auf den Grund geht, in die Vergangenheit abtaucht und zugleich die vielfältigen Auswirkungen eines solchen Ereignisses auf die Hinterbliebenen aus verschiedensten Aspekten beleuchtet. Im Alter von nur 8 Monaten wurde sie 1963 durch den folgenschweren Autounfall des Vaters Halbwaise – ein höchst traumatisches Geschehnis, das eine allzeit präsente Leerstelle hinterließ, über die sich die Familie für lange Zeit in ein unergründliches Schweigen hüllte. In kurzen, anekdotischen und tagebuchähnlichen Einträgen erzählt die Autorin sehr eindrucksvoll von ihrer unerbittlichen Spurensuche nach dem damaligen Unfallverursacher, den sie hasserfüllt als „Töter“ ihres Vaters bezeichnet. Bei der Aufarbeitung des allumfassenden familiären Traumas begibt sie sich nicht nur auf eine emotional aufwühlende Suche nach den näheren Todesumständen, sondern versucht sich auch an einer schrittweisen Annäherung an den fehlenden, unbekannten Vater und seine Persönlichkeit, die sie nicht kennen lernen konnte. Der schmerzhafte Aufarbeitungsprozess setzt ein allmähliches Durchbrechen des Schweigens voraus, bei dem schließlich auch dunkle, sorgsam verborgene Familiengeheimnisse zutage befördert werden. Auch der anfängliche Hass auf den vermeintlich verantwortungslosen Unfallverursacher wandelt sich im Laufe der gewonnenen Erkenntnisse zu Interesse an dem Menschen hinter dem Täter und einem Mitgefühl für dessen Schicksal. Gekonnt lässt sie zwischen die Episoden mit persönlichen Erlebnissen auch sachliche Ausführungen einfließen sowie weiterführende Informationen und Fun Facts beispielsweise rund um das Thema Autounfälle und verdichtet dies zu einem faszinierenden Gesamtbild. In vielen aneinandergereihten Begebenheiten, die oftmals durch Zeitsprünge unterbrochen sind, zeichnet del Buono ein facettenreiches und aufschlussreiches Porträt ihrer Familie und ihrer Lebenswege. Die Autorin versteht es hervorragend, bedeutsame Themen wie Identität, Erinnerung, Schuld, Verantwortung, Verlust, Trauma- und Trauerbewältigung sowie Vergebung auf sehr persönliche Art zu verarbeiten. Gekonnt gelingt es ihr die Komplexität menschlicher Beziehungen und Emotionen einzufangen und thematisiert darüber hinaus ihre Beziehung zu der an Demenz erkrankten Mutter oder die Ausgrenzung der italienischstämmigen Familie väterlicherseits in der Schweiz. Diese hochinteressante und facettenreiche literarische Aufarbeitung wird für die Autorin letztlich auch zu einer eindrucksvollen Reise der Selbstfindung und der Möglichkeit, die eigenen Verletzlichkeiten auf heilsame Weise zu verarbeiten. Dieser außergewöhnliche Roman hat mich trotz des recht distanzierten Schreibstils aufgrund del Buonos großen erzählerischen Talents nachhaltig berührt und zum Nachdenken angeregt. FAZIT Bewegender, vielschichtiger autofiktionaler Roman, der Trauma, Identität und Vergebung thematisiert! Sehr lesenswert!