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Buchdoktor

Posted on 28.5.2024

Als Byron und Benedetta/Benny Bennett sich 2018 in Kalifornien zur Beisetzung ihrer Mutter und zu einem Termin beim Familienanwalt Mitch treffen, haben die Geschwister sich seit Jahren nicht gesehen. Benny hat die Eltern im Streit verlassen, weil sie gegen deren Wunsch nicht studieren, sondern ein Konzept-Café eröffnen will. Dass sie nach einem Outing als lesbische Frau nun mit einem männlichen Partner nach England gehen will, hat der ohnehin komplizierten Beziehung den Rest gegeben. Byron ist als Meeresforscher und Umweltaktivist zwar bekannt in den Sozialen Medien und engagiert als Referent bei Career-Days an Schulen. Dennoch fühlt er sich wie ein x-beliebiger Jugendlicher, wenn er mal wieder wegen Haar- und Hautfarbe von der Polizei kontrolliert wird. Auch er hat sich von der Familie abgewandt u. a. aufgrund des Drucks, seinen Eltern eine wissenschaftliche Karriere zu schulden, und weil er sich nie ganz zugehörig fühlte. Als Anwalt Mitch, Freund ihres Vaters Bert und Vertrauter ihrer Mutter, ihnen ein Audiodokument von Eleanor abspielt, hören sie zum ersten Mal von einer Schwester, von der sie bisher nicht wussten. Eleanor Bennett stammt wie auch ihr Mann „von den Inseln“, aus der Karibik. Da sie schwer krank ist, bleibt ihr keine Zeit mehr, ihren Kindern das Familiengeheimnis direkt zu eröffnen. In Rückblenden in die 60er Jahre erfahren wir von den Freundinnen Covey und Etta, die für das Schwimmen und Surfen lebten, das für Mädchen auf den karibischen Inseln nicht ungewöhnlich war. Nachdem Covey am Tag ihrer Hochzeit aus dem Saal läuft und sich ins Meer stürzt, lässt sich allerdings nur noch Ettas Lebensweg als Langstreckenschwimmerin im Kaltwasser verfolgen. Wie das Leben der Schwimmerinnen mit einer Büroangestellten in Schottland und einer Fernsehmoderatorin zusammenhängt, deren Lebensthema die koloniale Aneignung von Lebensmitteln und Ess-Traditionen weltweit ist, liest sich absolut spannend, anrührend – und ist stark spoileranfällig. Verbindendes Element der Schicksale ist außer dem Meer und dem Schwimmen ein karibischer Kuchen mit in Rum eingelegten Früchten, der bei den Bennetts besonders Mutter und Tochter aneinander band. Mit zahlreichen Wechseln zwischen Orten und Zeitebenen ist „Black Cake“ ein komplex verschachtelter Roman über eine dunkelhäutige Familie karibisch-chinesischer Herkunft. Ineinander geschachtelt sind zwei Rahmenhandlungen 2018 und 1965, sowie eine Vielzahl von Rückblicken mit Focus auf jeweils eine Person. Beeindruckend fand ich die Empathie, mit der die Erzählerstimme sich in die miteinander verknüpften Schicksale (hauptsächlich von Frauen) einfühlte. Aber auch die Figur Byron konnte mich berühren, der mit seinen vielen Aktivitäten und Pflichten beispielhaft für den Druck steht, nie gut genug zu sein. Charmaine Wilersons Debüt gibt u. a. Einblick in die Rolle der kleinen Gruppe chinesischer Arbeiter auf den karibischen Inseln, die auf diversen Wegen und für die Einheimischen überraschend zu Wohlstand gelangten, in Schicksale von Übersiedlern ins Mutterland England, sowie Varianten von institutioneller Diskriminierung und Verhöhnung aufgrund von Herkunft und Kultur. Mit Colorism, Loyalität, Frauenfreundschaft, Identitäts- und Spurensuche, kulturelle Aneignung und Umweltschutz-Aktivismus scheint „Black Cake“ schon beinahe zu viele Themen anzuschneiden. Nachdem ich das Buch gerührt zugeklappt habe, sehe ich diese Themen-Vielfalt jedoch als Vielfalt menschlicher Beziehungen und Verwurzelungen. Ein Personenverzeichnis hätte hier aufgrund von Namensveränderungen gespoilert, ein großer Notizzettel für die Vielzahl an Namen und Verbindungen ist daher hilfreich.

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