Marius
Von den Kämpfen des Zweiten Weltkriegs bis in die Nachkriegszeit hinein zeichnet Sarah Winman in ihrem Roman Das Fenster zur Welt die Wege einer Gruppe von Menschen nach, für die Florenz zum Lebensmittelpunkt wird. Lektüre, die Freundschaft feiert – und einem Papagei den großen Auftritt gönnt. Schon in ihrem ersten auf Deutsch veröffentlichten Roman Lichte Tage erwies sich das Ausland (damals in Form von Provence) als der Ort, an dem ein Engländer wirklich hätte glücklich werden können. Und auch in ihrem neuen, ebenfalls wieder von Elina Baumbach ins Deutsche übertragenen Roman ist es das Ausland, wo auf eine Gruppe von Engländer*innen glücklich wird. Doch bis es soweit ist, nimmt uns Sarah Winman erst einmal mit in die Endphase des Zweiten Weltkriegs, wo sich zwei ganz unterschiedliche Figuren vor den Toren von Florenz begegnen. Da ist die „englische Jungfer“ Evelyn, die sich als Kunsthistorikerin den Alliierten andienen will, um vor Ort die Kunstschätze von Florenz zu sichern und zu retten. Und da ist der junge Soldat Ulysses, der in den chaotischen Tagen rund um die Befreiung von Florenz zum ersten Mal einen Eindruck davon erhält, was diese Stadt mit ihren Menschen und reichen Kunstschätzen seit der Renaissance auszeichnet. Der Zauber von Florenz Ein Intermezzo in London währt dann auch nicht lange, ehe Ulysses dem Zauber von Florenz erneut erliegt. Denn er hat in den ersten Tagen in der befreiten Stadt die Bekanntschaft mit einem Florentiner gemacht, der ihm nun nach seinem Tod dort gleich zwei große Wohnungen in einem Stadthaus vermacht. Und so beschließt Ulysses, zusammen mit der Tochter seiner Gattin, deren Ehe eher ein Zufall war, nach Italien aufzubrechen. Gesellschaft dabei leistet ihm Cressy, ein Freund der Familie. Über die Jahre hinweg beobachtet Sarah Winman nun das Treiben dort in der Renaissancestadt, das ähnlich bunt ist wie die außergewöhnliche Gruppe um Ulysses, in der sogar Claude, ein Papagei aus einem Londoner Pub, seinen Platz erhält. Wie Ulysses dort ankommt, Freundschaften schließt und sein neues Leben beginnt, das beschreibt Winman anschaulich und rührend. Immer wieder erhält Ulysses dort in Florenz auch Besuch von einer Gruppe aus London um seine Frau Peg – denn dem Zauber Italiens kann man sich eben doch nicht entziehen, selbst wenn man ansonsten im fernen England lebt. Die Feier von Freundschaft und Verbundenheit Das Fenster zur Welt ist die Feier von Freundschaft und von tiefem Verständnis, das die Figuren untereinander entwickeln. Denn obschon die Beziehung zu seiner Ex-Frau Peg schwierig ist, mancherlei Katastrophen wie die Überschwemmung von Florenz durch den Arno 1966 auf die zugezogenen Florentiner warten – im freundschaftlichen Verbund mit Bekannten, Freunden und Papagei übersteht sich selbst die schlimmsten Unglücke, wie Sarah Winman in ihrem Buch zeigt. Liebe, Romanzen, Verlust und Tod sind Themen, die in diesem Buch behandelt werden. Schwer ist Das Fenster zur Welt aber nie, sondern ist immer vom Gefühl von la dolce vita getragen. Der Hotelbetrieb mitsamt seiner Gäste und die omnipräsente Kunst dort zwischen Pontormos Kreuzabnahme und Michelangelos David ist es auch, die Evelyn wieder nach Florenz lockt und sie schließlich auch mit der Freundesgruppe um Ulysses zusammenführen wird. Vielleicht manchmal etwas eine Spur zu locker, mit dem Sentenzen absondernden, hochintelligenten Papagei Claude manchmal etwas nah an der Karikatur – ist Sarah Winmans Roman doch auch einfach buchgewordener Urlaub in Italien und weckt während der Lektüre selbst Lust, baldmöglichst über die Ponte Veccio und durch die Gassen der Stadt am Arno zu strawanzen. Fazit Bevor im Oktober Italien vollends in den Fokus der literarischen Aufmerksamkeit rückt, kann man hier schon einmal vorab eine Reise nach Italien unternehmen und zusammen mit Sarah Winman die Schönheit und Anziehungskraft von Florenz erkunden. Das Fenster zur Welt ist die Feier von Freundschaft und zeigt Menschen, die fernab von konventionellen Lebensmodellen und Rollenbildern miteinander im Einvernehmen stehen. Getragen von einem tiefen Verständnis unter den Figuren ist dieser Roman – obschon von einer Engländerin verfasst – von italienischer Leichtigkeit durchzogen. Leicht zu lesen, aber keineswegs banal mit großen Bögen über die Jahre hinweg ist dieses Buch eine ideale Einstimmung auf den Sommer und auf den nächsten Urlaub jenseits des Brenners.