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Inhalt: Eine böse Vorahnung? Wendy merkt mit einer absoluten Sicherheit, dass im Zimmer ihrer Tochter etwas nicht stimmt. Sie lässt alles stehen und liegen und rennt in Janes Zimmer. Als sie die Tür aufreißt, weiß sie es mit Gewissheit: Peter Pan ist zurückgekehrt. Mitten im Fenster steht er und spricht ihren Namen aus. Doch Peters Blick ruht nicht auf Wendy. Er ruht auf ihrer Tochter. Es bleiben nur wenige Sekunden und somit keine Zeit zum Handeln. Peter ist gekommen, um die Frau zu holen, die eine Mutter für seine verlorenen Jungs und für ihn spielen sollte. Damals, wie heute. Und so schnell er gekommen ist, ist er auch wieder fort. Mit Jane an seiner Hand. Und damit beginnt der Albtraum für Wendy erneut. Meinung: Viele Jahre ist es her, als Wendys Eltern bei einem Schiffsunglück verstarben. Damals war es Peter, der das junge Mädchen und ihre Brüder zu sich holte. Nach Nimmerland. Eine Welt, in der keine Regeln herrschten. In der jeder tun und lassen konnte, was er wollte. Hier gab es keine Erwachsenen. Hier wurden Träume und Wünsche war. Doch so schön das alles auf den ersten Blick klingt, so hatte Nimmerland, wie so vieles im Leben auch seine dunkle Seite. Aspekte, die man als Kind auf den ersten Blick nicht wahrnehmen konnte oder wollte. Denn Peter, der einst so charismatisch wirkte, der die Neuankömmlinge zu umschmeicheln wusste, hatte auch seine düstere Seite. Das wird Wendy in aller Deutlichkeit bewusst, als sie sich aufmacht, um ihre Tochter Jane aus Nimmerland zurückzuholen. Peters Wille ist absolut gesetzt. Er stellt die Regeln auf und alle haben sich daran zu halten. Widerspricht einer seiner Jungs, so wird er zornig. Die Strafe folgt auf dem Fuße. Diese kann ganz unterschiedlich aussehen. Peter gefällt es, wenn das Opfer gedemütigt und lächerlich gemacht wird. Von einer Sekunde auf die andere wirkt Peter, wenn seine Regeln denn befolgt werden, wieder glücklich. Eine Situation, egal, wie düster sie endet, gerät schnell in Vergessenheit und ein Schleier des Vergebens wird über alles ausgebreitet. Wendy wird also, als sie mit der aktuellen Situation konfrontiert wird, gedanklich schnell wieder in die Vergangenheit zurückgeworfen. Mittels Zeitsprüngen erfährt der Leser von einer Zeit, in der Wendy mit ihren Brüdern in Nimmerland gewesen ist. Diese Abschnitte stehen jedoch nicht im Fokus. Viel traumatischer war die Zeit danach. Die, in der ihre Brüder alles verleugnet und sie in eine psychiatrische Anstalt haben einweisen lassen. Hier erleidet die junge Frau die wohl schlimmste Zeit ihres Lebens. Die Aufseher lassen keine Gelegenheit aus, um sie zu quälen und zu schikanieren. Einer von ihnen treibt es derart auf die Spitze, dass Wendy Todesängste durchleben muss. Jeden Tag hofft sie auf eine Rettung durch Peter Pan. Doch der Junge scheint sie so schnell vergessen zu haben, wie er alles, was sich nicht vor seinen Augen abspielt, aus dem Blick verliert. Dabei war sie doch damals seine Liebste. Das Mädchen, das für ihn wie seine Mutter sein sollte. Die Frau, die alles in Ordnung bringen musste, was kaputt gegangen war. Wendy muss also schnell lernen, die Tage irgendwie zu überstehen. Sie darf in St. Bernadette nicht über Nimmerland sprechen. Denn keiner glaubt ihr und jedes Wort über die Vergangenheit verschlimmert nur ihre Lage. Nur eine junge Frau schenkt ihr über die Jahre Gehör. Eine Mitpatientin und bald schon eine Freundin fürs Leben. A. C. Wise erzählt ihre Neuinterpretation und zugleich die Fortsetzung von Peter Pan aus der Perspektive von zwei unglaublich starken Frauen: Wendy und ihrer Tochter Jane, die es unter den Männern im damaligen London des Jahres 1931 nie leicht hatten. Zwar ist es Wendy irgendwann gelungen, aus St. Bernadette entlassen zu werden. Sie hat einen Mann gefunden, der sie wertschätzt, dem sie vertrauen kann. Doch die Schatten von einst, die ersten Erfahrungen, die sie mit einem, ja eigentlich schon als narzisstisch anmutendem Jungen machen musste, der exemplarisch für all die vielen Männer stehen mochte, die im Laufe der Jahre ihren Lebensweg kreuzen werden, sitzen so tief. Wendy gelingt es nur schwerlich zu vertrauen. Vielleicht ist es aber auch gerade dieser Lebensweg, der Wendy zu so einer mutigen und starken Persönlichkeit hat werden lassen, die der Leser im Laufe der Geschichte kennenlernen darf. Mittels Zeitsprüngen leitet die Autorin einen hier also durch verschiedene Epochen der Geschichte. Zum einen bekommt man durch die Perspektive von Wendys Tochter Jane einen Einblick ins heutige Nimmerland. Zum anderen erfährt man als Leser viel über Wendys Zeit in St. Bernadette. Ihr Leiden und die tägliche Furcht, die sie durchleben musste. Gerade auf den ersten Seiten hatte ich das Gefühl, dass so viel Unausgesprochenes zwischen den Seiten schwebt. So viele Geheimnisse, so viel Düsternis. Nach und nach offenbart A. C. Wise dem Leser ihres Buches aber die verschiedenen Schichten ihrer Figuren. Fazit: A.C. Wise präsentiert mit „Wendy Darling – Dunkles Nimmerland“ eine neue, sehr düstere und tiefgründige Variante des Kinderklassikers „Peter Pan“ und setzt diesen fort. Was passierte mit Wendy, dem einzigen Mädchen unter einem Haufen verlorener Jungs, nachdem sie Nimmerland verlassen und erwachsen geworden ist? Welche Bedeutung hatte sie einst für Peter und welche Bedeutung hat sie auch heute noch für ihn? War Peter wirklich dieser Junge, der Kinder gerettet hat, oder war er nicht vielleicht doch abgrundtief böse? A.C. Wise zeichnet in ihrem Buch ein psychologisch vielschichtiges Portrait verschiedener Charaktere. Sie sensibilisiert für die Rolle der Frau und deren Befreiung aus toxischen Banden. Viele Fragen fließen in diese Geschichte ein. Viel Unausgesprochenes schwebt zwischen den Zeilen. Wie wichtig ist die Rolle der Mutter für ein Kind? Auf welche Art können Erlebnisse in der Vergangenheit einen prägen? Trägt nicht jeder von uns seinen eigenen Schatten mit sich herum? Kann man bestimmte Erlebnisse überhaupt vergessen? Phantastisch ist ja bekanntlich, was der Realität zu widersprechen scheint. Das lässt sich von „Wendy Darling – Dunkles Nimmerland“ nicht sagen. Dieser Umstand macht diese Geschichte aber umso interessanter. Die minimalistische Strukturierung und die fehlende wörtliche Rede können allerdings, auch wenn mich dies nicht störte, den Lesefluss behindern. Tatsächlich lässt das Buch aber auch manche Fragen offen. Dennoch kann ich es wirklich empfehlen.