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Buchdoktor

Posted on 25.4.2024

Fine Gråbøls namenlose Icherzählerin lebt in einer Übergangs-Wohngemeinschaft für psychisch kranke Young Adults zwischen 18 und 23 nach ihrer Entlassung aus der Psychiatrie. Für dieses spezielle Klientel gibt es im mehrstöckigen Haus insgesamt nur 5 Zimmer, die entsprechend begehrt sind. Die junge Frau leidet am Borderline-Syndrom mit Panikattacken und Tendenz, sich selbst zu verletzten und hat eine dramatische Vorgeschichte. Aus Sicht der Erzählerin verfolgen wir die ebenfalls dramatischen Schicksale ihrer vier Mitpatient:innen. Die zwei Männer und drei Frauen auf ihrer Station erkennen einander auf den ersten Blick: Männer sind hier schizophren, Frauen Borderlinerinnen oder Zwangsgestörte. Sehr eloquent beschreibt die Patientin den Alltag in der Einrichtung, deren Pflegepersonal besonders qualifiziert ist, Schlafstörungen zu lindern. Sie sind offenbar der erste Schritt zu einer Verschlechterung des labilen Gleichgewichts. Eine erneute Aufnahme auf einer psychiatrischen Station würde wie eine Spirale den Zustand unaufhaltsam verschlimmern. Erstaunlich, wie scharfsichtig die junge Frau die Widersprüche ihrer Therapie durchschaut, das „psychiatrische Machtverhältnis“, aber auch die geschäftliche Seite der Finanzierung der Einrichtung und Bewilligung von Erwerbsunfähigkeitsrenten. Sie ist überzeugt, dass die Isolation durch betreute Lebensweise die Heilung zwar verzögert, als Teil eines fragilen Balance-Aktes jedoch unverzichtbar ist. So erkennt sie, dass die Teilnahme von zwei Bewohnerinnen an einer Therapiegruppe außerhalb des Hauses auch der Emanzipation der jungen Frauen von ihrer Wohnform dient. Fazit Gråbøls Icherzählerin traue ich zu, eine grundsätzliche Psychiatrie-Kritik ebenso eloquent zu formulieren wie einen Entwurf fürs Sozialgesetzbuch, für einen Roman sehr ungewöhnlich!

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