sophiesyndrom
Selten begegnet mir wohl solch ein ideenreiches und weltlich komplexes Buch wie „Grau“ von Jasper Fforde. Einige Zeit stand es bereits auf meiner Leseliste und jetzt nach langen fünfzehn Jahren der Wartezeit auf den zweiten Teil der Reihe gab es einen weiteren Ansporn für mich, endlich mit dem Auftakt der Geschichte zu starten. Ich muss ehrlich zugeben, dass mich das Buch etwas herausgefordert hat. Es verlangte von mir einiges an Aufmerksamkeit, zu verstehen, wie die Welt aufgebaut ist, was sie ausmacht und wie sich das Zusammenleben der Figuren dort gestaltet. An manchen Stellen fehlte es mir etwas an klarer Einordnung, jedoch tat das der Unterhaltung keinen Abbruch. Stets wollte ich weiterlesen und ein grundsätzliches Spannungslevel stellte sich gerade deswegen ein, weil ich dahinter blicken wollte, was es mit dieser Welt, voller Regeln und gesellschaftlich strukturiert durch selektive Farbsicht, eigentlich auf sich hat. Unzählige Fragen türmten sich auf, vor allem, da man von Anfang an das Gefühl hat, dass etwas ganz und gar verkehrt ist. Dieses Gefühl beschleicht auch zunehmend unseren Protagonisten Eddie Russett, der mit exzellenter Rotsicht und Aussicht auf gesellschaftlichen Aufstieg zunächst recht zufrieden mit seinem ruhigen Leben ist. Doch als er aufgrund mangelnder Demut den Auftrag erhält in einem der Randgebiete Stühle zu zählen, trifft er auf Jane – eine Graue, die mit ihrer Farbblindheit gesellschaftlich weit unten steht. Jane verdreht Eddie mit ihrer schroffen Art nicht nur sichtlich den Kopf, sondern säht darin auch immer mehr Fragezeichen, ob die gültige Ordnung mit all ihren skurrilen Regeln wirklich so gerecht ist, wie sie vorgibt zu sein. Jasper Ffords Schreibstil und Ideen konnten mich wirklich sehr begeistern. Die Geschichte weist ein hohes Maß an Absurdität auf, was sehr zum spezifischen Humor Ffords beiträgt. Aber über all den Kuriositäten, die einen schmunzeln lassen, liegt stets ein Schleier des Unheils, besonders als immer mehr Fragezeichen und verschwommene Antworten in den Raum geworfen werden. Jasper Fford verarbeitet in dieser Geschichte eine Gesellschaftskritik hinsichtlich Totalitarismus, hierarchischer Strukturen und dem unwissenden Volk – irgendwie überspitzt aber gleichzeitig so gruselig nahbar, dass einem ganz mulmig wird. Jasper Fforde beschreibt eine Gesellschaft, die so ganz anders als unsere erscheint, so unmöglich und doch in ihren Feinheiten Parallelen zieht. Mit jeder Seite begleiten wir Eddie Russett immer tiefer in einen Zwiespalt zwischen seinen gesellschaftlichen Pflichten und seiner Liebe zu Jane, die im Zusammenhang mit einem drastischen Wiederstand gegen die vorherrschende Ordnung steht. Und am Ende teilt man mit ihm dasselbe Gefühl – das man weiß, dass man so viele Dinge noch nicht weiß. Ein Glück, dass ich direkt in den zweiten Band starten konnte.