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anne_hahn

Posted on 27.3.2024

Ein Archivar erwacht aus seiner Starre und eine taffe Feuerwehrfrau entdeckt Berlin Dieser schmale Roman entführt in die Welt zweier Menschen, die scheinbar wenig miteinander zu tun haben. Da ist Jan, der Anfang der Neunziger mit seiner Mutter nach Berlin gezogen war (während der Vater die Familie in Richtung Russland verließ) und jetzt als Archivar in der deutschen Geschichte herumgräbt und Enni, die als Feuerwehrfrau auf ihren Dienst fokussiert ist und vielleicht ein Problem mit Männern hat. Enni: "Ihre Haare waren rot und schwebten eine Hand breit über ihren Schultern, berührten sie aber nicht. Die Bomberjacke war ihr zu groß, dazu trug sie einen Lederrock und schwarze, halbhohe Schnürstiefel." Jan: "Er war drahtig und schmal, alles andere als sportlich... Er trug einen breiten goldenen Ring am rechten Finger." Auf 142 Seiten kommen sich die beiden näher, stoßen sich ab, umkreisen einander. Der Roman deutet vieles an, was ausführlicher beschrieben werden könnte; den Abzug der sowjetischen Truppen aus der DDR, Jans Verfallen in eine katatonische Starre, der Museumsbesuch Ennis in Berlin und ihr Hang zur Ägyptologie - andererseits bleibt der Roman so wie ein Brennglas auf die Handlung gerichtet. Schnörkellos und in abwechselnden kurzen Absätzen erzählt die Autorin, wie das Leben der beiden ein paar Monate lang weitergeht bzw. feststeckt. Das ist berührend und schön. Meine Lieblingsstelle - wie Enni am Alexanderplatz die Weltzeituhr entdeckt und umrundet: "Die Morgenmuffel in Helsinki, Riga, Tel Aviv, Kairo und Kapstadt teilten sich eine Zeitzone. Während die Angestellten in Almaty Feierabend machten, lagen die in Los Angeles im Tiefschlaf. Die Teenager in Oslo, Berlin und Rom netflixten am Abend gleichzeitig. Wir hatten die Welt und den Tag vierundzwanzigfach aufgeteilt. Die Eindeutigkeit, die mich sonst durch den Tag brachte, war aufgehoben." Ein zartes, ungewöhnliches Buch mit eigenwilligen Figuren, die einen nicht mehr loslassen!

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