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Mit diesem Roman greift MURAKAMI – wie der international renommierte japanische Autor selbst uns in einem Nachwort verrät – auf eine seiner ersten Kurzgeschichten aus den 80iger Jahren zurück. Mit dieser mehrfach verschobenen Erweiterung und Neubearbeitung legt der Autor möglicherweise sein “Alterswerk” vor. Den Büchern des Japaners wird man am wenigsten dadurch gerecht, dass man nach dem Plot, also dem Handlungsverlauf, sucht. In den meisten Fällen dienen diese Geschichten nur als eine Art Rahmen, in denen MURAKAMI seine typischen (und inzwischen weltberühmten) Fäden zwischen unterschiedlichen Realitätsebenen spinnen kann. Das Spiel mit Metaphern und die fast schmerzhaften Wiederholungen bestimmte Einzelheiten schaffen eher eine charakteristische, oft geradezu meditative Stimmung, als dass sie eine übliche literarische Leseerfahrung bieten. Um es anders zu sagen: Erfahrene MURAKAMI-Leser erwarten nicht wirklich eine in sich kohärente und logisch aufgebaute Handlung, in der ein Erzählstrang zu einem befriedigenden Ende geführt wird. Diesmal werden von Anfang an zwei klar unterscheidbare Realitäts-Dimensionen eingeführt: Die titelgebende Fantasie-Stadt entsteht zunächst als Gedankenspiel innerhalb einer jugendlichen Liebesgeschichte und wird im Laufe der Erzählung ein übergreifendes metaphorisches Thema, dass den Protagonisten bis weit ins Erwachsenenalter begleitet (bzw. ihn dort wieder einholt). Die durch eine unbezwingbare Mauer umgebene und vom Rest der Welt völlig isolierte Stadt weist eine Reihe von Absurditäten auf: In ihr gelten besondere Regeln und Gewohnheiten, hier existiert eine besondere Tierart und die Bibliothek, in der die Hauptfigur eine Weile tätig ist, beinhaltet keine Bücher sondern alte Träume in speziellen Gefäßen. Das aus anderen Büchern bekannte Thema “Schatten” spielt auch hier eine Rolle: Beim Eintritt in die Stadt muss der eigene Schatten beim strengen Tor-Wächter abgegeben werden (und die Chance, ihn lebend zurückzubekommen, ist ziemlich gering). Nach einem ersten Aufenthalt gelingt dem Erzähler eine Rückkehr in die “richtigen” Welt und leitet dort später eine Kleinstadt-Bibliothek. Hier entspannt sich eine zunächst vergleichsweise “normale” Geschichte, in der sein Vorgänger, ein sehr sonderbarer Junge und eine Café-Besitzerin eine Rolle spielen. Nachdem sich zeigt, dass der frühere Bibliothekar bereits längere Zeit tot ist und nur als Geist präsent ist und der Junge unbedingt in die geheime und verborgene Stadt möchte, zerbricht die Illusion einer klar definierten Realität endgültig. Bemerkenswert ist, dass der Erzähler selbst innerhalb der Geschichte – sozusagen auf einer erklärenden Meta-Ebene – Betrachtungen über den Schreibstil des “Magischen Realismus” anstellt und den Widerstreit zwischen den zwei Welten offen thematisiert. Was soll man nun von all dem halten? Es liegt nahe, dass MURAKAMI letztlich über unterschiedliche menschliche Bewusstseinsebenen schreibt, die wohl im Allgemeinen klar getrennt sind, sich gelegentlich aber (z.B. in Träumen) miteinander vermischen. Man könnte also versuchen, in den Bildern und Metaphern Bezüge zu solchen (verborgenen) Bewusstseins-Dimensionen und ihren Verstrickungen zu finden. Möglich wäre es auch, einfach in die “Verrücktheiten” dieser Erzählform einzutauchen und sich auf den Wellen der unzähligen Wiederholungen treiben zu lassen – ohne den Versuch einer intellektuellen psychologischen oder literarischen Analyse. Manche MURAKAMI-Fans können sich vielleicht auch einfach an den lieb gewordenen Absurditäten erfreuen und sich zwischendurch auf die kleinen Inseln normaler Erzählstruktur zurückziehen. Wenn auch diese – und sicher noch ein paar andere – Zugänge möglich sind und einen potentiellen Lesegenuss versprechen, ist doch davon auszugehen, dass MURAKAMI viele andere Leser/innen eher verstören und überfordern wird. Dazu trägt sicher auch bei, dass die Gesamtgeschichte nicht sehr kohärent wirkt: Man merkt ihr an, dass sie in der Überarbeitung aus zwei Teilgeschichten zusammengesetzt wurde. Es könnte gut sein, dass letztlich nur die gewohnt perfekte Vorlesestimme von David Nathan dafür verantwortlich war, dass ich diesen Roman bis zum – wenig erhellenden – Ende durchgehalten habe.