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anni_anushka

Posted on 25.2.2024

Wie eine akademische Vorlesung im Roman-Gewand Dieo und Zazie leben in Frankfurt. Zwei Schwestern, Töchter einer deutschen Mutter und eines senegalesischen Vaters. Dieo ist vollauf beschäftigt mit drei Kindern, einem Job als Psychotherapeutin und einem Mann, der als Mitarbeiter eines Startups eigentlich immer am Start sein muss, wenn der Chef wieder eine Nachtschicht anordnet. Zazie arbeitet in einem Jugendzentrum und überlegt noch, ob sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin zum Thema Rassismus an die Uni gehen möchte. Vor allem Zazie beschäftigt sich mit den vielen verschiedenen gesellschaftlichen Themen rund um Diskriminierung, Rassismus und Ungleichheit und hält - vor allem dem Rest der Familie - permanent einen Spiegel vor. Die Ankündigungen versprachen einen Familienroman mit aktuellen gesellschaftlichen Themen und hintergründigem Witz. Tatsächlich fand ich in diesem Buch wenig Witz. Und was den Familienroman betrifft, fühlte es sich eher wie eine Verkleidung an. Es war fast wie eine Hochschulvorlesung, die als Familienroman verkleidet daherkam, um die Themen leichter verdaulich zu machen. Doch das ist leider meiner Meinung nach nicht gut geglückt. Zazie belehrt ihre Familienmitglieder in einem fort. Die Familienzusammenkünfte und andere Treffen, die hier erzählt werden, wirken eher wie akademische Diskussionskreise. Immer wieder werden sehr direkt und "in your face" die aktuellen Modebegriffe regelrecht definiert. "So, dann weiß ich ja jetzt auch, was Mansplaining [beliebig austauschbar mit anderen Begriffen] ist." Und es wird nicht besser dadurch, dass die Begriffe wie in einem Lehrbuch auch noch in kursiv hervorgehoben sind. Und dann wird selbst die eigene Großmutter noch ständig zurechtgewiesen. Ja, auch und gerade die älteren Generationen müssten sensibilisierter werden, aber diese Großmutter hat diese Enkelinnen doch schon seit 20 Jahren. Da ist das Ganze irgendwie wenig glaubhaft. Über lange Strecken habe ich mich ziemlich durch dieses Buch gekämpft. Da ich selbst im akademischen Bereich tätig bin, weiß ich, wie wichtig die Themen dieses Buches sind. Dennoch hat es mir an fesselnder Handlung gefehlt für einen Roman. Der eigentliche Handlungspunkt, der auch im Klappentext genannt wird, passiert erst spät im Buch, sodass wenig Handlung im Senegal oder in Interaktion mit der senegalesischen Verwandschaft stattfindet. Dieser Abschnitt war tatsächlich deutlich interessanter und spannender und hätte noch mehr Potential gehabt, dass die Schwestern auch ihre eigenen Privilegien reflektieren, die sie trotz erlebter Diskriminierung haben. So haben beide beispielsweise ein Hochschulstudium genossen und Zazie hat trotz vorübergehender Arbeitslosigkeiten scheinbar keine existenziellen Sorgen. Insgesamt ist dieses Buch sicher gesellschaftlich wichtig aufgrund der Themen, die es verhandelt. Leider bleibt es aber relativ trocken und theoretisch und wirkt eher wie eine Uni-Vorlesung verkleidet als Familiengeschichte. Und wenn es die Zielgruppe, die es am besten gebrauchen könnte, nicht schon direkt verfehlt, wird es sie wahrscheinlich auf halber Strecke verlieren aufgrund des ständigen erhobenen Zeigefingers und der mangelnden Handlung, die einen Roman nun einmal ausmachen.

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