Buchdoktor
Wenn John Lewis-Stempel seine Farm in Herefordshire mitsamt Wäldchen und Teich betrachten will, muss er dazu nur in sein vertrautes Revier unmittelbar vor der Haustür treten. Die Beschreibung seiner Nachtwanderungen in vier Jahreszeiten-Kapiteln holt weiter aus und umfasst z. B. seine Initiation als nachtaktiver Jugendlicher auf dem Heimweg aus der Kneipe bis zur elterlichen Farm oder in der Gegenwart den Weg vom Bahnhof zur Farm, nachdem abends der letzte Bus bereits abgefahren ist. Nachts unterwegs zu sein, bedeutet für den leidenschaftlichen Naturbeobachter, seine Sinne neu zu sortieren und sich stärker auf Gerüche und Geräusche zu konzentrieren. Das Betreten der neuen, nächtlichen Welt fordert veränderte Regeln und einen neuen Wortschatz von seinem Besucher. Mit dem Wäldchen (in dem er traditionell seine Kühe weiden lässt) und „seinem“ Bartkauz Old Brown treffen Lewis-Stempels Leser:innen auf Vertrautes aus seinen vorhergehenden Büchern. Trotz des extrem schmalen Umfangs von unter 100 Seiten bietet der Band in kleinen Dosen Neues für Fans von Nature-Writing. So zitiert der Autor aus seinen Natur-Tagebüchern, lässt ausgewählte Texte anderer Autoren abdrucken und bietet außer Biolumineszenz auf seiner Sumpfwiese Interessantes mit dem Thema Lichtverschmutzung/Dark Sky Reserve. Er entdeckt z. B. den Hasen im Mond, ohne dazu europäischen Boden verlassen zu haben, und erklärt, warum so viele Blüten weiß sind. Auch erzählt er vom Winter in Herefordshire, den ich mir als Nicht-Britin stets schwer vorstellen konnte. Für die tägliche kurze Dosis Nature-Writing liegt der schmale Band mit Lesebändchen gut in der Hand; das Wissen, dass sein Autor seit Jahrzehnten Natur-Tagebuch führt, weckt allerdings die Neugier auf zukünftige umfangreichere Texte.