herbstrose
Freud und Leid liegen nah beieinander Bisher kam die leicht demente über 80jährige Frieda, dank der fürsorglichen Hilfe ihres geliebten Mannes, ganz gut zurecht. Doch nun ist Louis ganz plötzlich verstorben und Frieda musste ins Pflegeheim umsiedeln. Alles ist neu und ungewohnt. Zum ersten Mal hilft ihr nicht Louis morgens beim Duschen und Windelwechseln, sondern ein junger Pfleger. Plötzlich hat Frieda viel Zeit ihre Gedanken schweifen zu lassen, wenn sie alleine in ihrem Sessel am Fenster sitzt. Es kommen Erinnerungen über Ereignisse, die sie jahrzehntelang verdrängt und von denen selbst Louis nichts geahnt hatte. Es gab vor ihm schon einen Mann, Otto, der bereits verheiratet war, als sie ihn mit 21 Jahren kennen und lieben lernte. Von ihm wurde sie schwanger – eine Katastrophe und ein Albtraum für ein Fräulein in der damaligen Zeit. Von ihren Eltern wurde sie verstoßen, verlor ihre Arbeitsstelle und fand in einer zwielichtigen Absteige einen Unterschlupf, da kein Zimmervermieter eine schwangere unverheiratete Frau aufnehmen wollte. Als das Kind zur Welt kommt wird es ihr sofort weggenommen, sie darf nicht Mutter sein - und Otto war auch verschwunden. Das Leben ging weiter, sie lernte Louis kennen, heiratete ihn, bekam Sohn Tobias und vergrub ihren Schmerz tief im Innern. Erst jetzt im Pflegeheim beginnt sie allmählich, sich der Vergangenheit und dem widerfahrenem Leid zu stellen. Mit Hilfe von Pfleger Jamie und Sohn Tobias wagt sie die Suche nach dem, was sie einst verloren hat … Jaap Robben, geb. 1984, ist ein niederländischer Schriftsteller, Dramatiker und Übersetzer, der seit 2004 publiziert. Seine Werke wurden vielfach ausgezeichnet, die Romane verfilmt und in mittlerweile fünfzehn Sprachen übersetzt. Für seinen Roman „Birk“ (2015) erhielt er den niederländischen Buchhandelspreis und sein Roman „Summer Brother“ (2021) stand auf der Longlist des International Booker Prize. Der Autor lebt in Deutschland. In „Kontur eines Lebens“ führt uns der Autor zurück in die 1960er Jahre, einer Zeit, in der noch ganz andere Moralvorstellungen herrschten. Er bedient sich dabei der Erinnerungen der im Pflegeheim untergebrachten Protagonistin und bewirkt somit, dass der Leser ihren Schmerz, ihre Demütigungen und das ihr zugefügte Leid äußerst intensiv erlebt. Unglaublich einfühlsam und rücksichtsvoll dringt Jaap Robben in die Gefühls- und Gedankenwelt der heute über 80jährigen, schon leicht dementen Frau ein. In einem wunderbar warmherzigen Ton erfahren wir, dass die Geburt eines Kindes zu der damaligen Zeit für eine unverheiratete Frau einer Tragödie gleichkam. Er scheut sich auch nicht, die Schattenseiten des Alters und der Heimunterbringung in klare Worte zu fassen. Friedas Scham, sich nackt und schutzlos von fremden Menschen pflegen zu lassen, fasst er in sehr sensible und taktvolle Worte. Ein ganz besonderer, wunderbar erzählter Roman, der unausgesprochene Empfindungen spürbar macht und noch lange nachwirken wird.