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wandanoir

Posted on 2.1.2024

Kurzmeinung: Diese Autorin weiß, was man mit einer Spannungskurve macht. Eine liebevolle Abrechnung Der dritte Roman Fatma Aydemirs dürfte die türkische Gemeinschaft, so sie ihn den läse, mitten ins Herz treffen. Denn er ist eine liebvolle Abrechnung mit der türkischen Gesellschaft und deren spezifischen Vorurteilen. Aber "Dschinns" ist natürlich nicht nur eine Abrechnung. „Dschinns“ ist in erster Linie ein stinknormaler Familienroman und somit gute Unterhaltung. Ein Familienroman ist ein Familienroman ist ein Familienroman. Es ist ein türkischer Familienroman, sicher, aber die Unterscheidungen zum Beispiel zu einem deutschen Familienroman sind marginal, schließlich haben fast alle Familien ein paar Gespenster im Schrank oder Leichen im Keller. Ich glaube sie heißen Yildiz, aber Nachnamen spielen keine große Rolle in dem Roman. Die Eltern sind Emine und Hüseyin. Sie haben vier Kinder, wovon noch eines im Haushalt lebt, nämlich der dreizehnjährige Ümit und drei sind erwachsen und leben so gut es geht ihr eigenes Leben. Sich von der Herkunftsfamilie und ihrem Einfluss freizuschwimmen nennt man Emanzipation; das gibt es in jeder Famile ganz gleich in welcher Nationalität und Emanzipation verursacht Geburtsschmerzen. Davon handelt der Roman. Der Kommentar: Die Autorin schreibt flüssig, fesselnd, spannend, ohne Füllwörter und Phrasen. Ich mag ihre Bilder und ihre Sätze. Und ich mag ihren Aufbau. Als Erzähl-Mittelpunkt dient eine Wohnung in Istanbul, in der sich entweder schon einige Protagonisten befinden oder sie sind auf dem Weg dorthin. Von hier aus entwickelt die Autorin ihre Geschichte. Jedes der vier Kinder bekommt einen eigenen Erzählpart in der Geschichte. Und eines geistert quer durch alle Erzählparts. Den Auftakt bildet die Story des Vaters, der die Wohnung in Istanbul von seinem gesamten Ersparten gekauft hat. Zum Schluss erzählt die Mutter. So sind die Kinder in die Familie eingeschlossen wie in eine Klammer. Und so empfinden sie es auch, dass sie eingeschlossen sind. Werden sie sich Platz verschaffen können für ein eigenes Leben ohne die Familie zu zerstören? Was den Roman besonders macht, ist die Einbettung der Erzählung in die Historie; Thema ist sowohl der Gastarbeiterstatus der Eltern und die beginnende Intergration der zweiten und dritten Generation, aber auch die ungelöste Kurdenfrage in der Türkei, zwar am Rande, aber immerhin und der Generationenkonflikt. Tradition und Moderne stoßen aufeinander, die Menschen sind orientierungslos, mal entscheiden sie sich falsch, mal richtig, alle tun ihr Bestes, aber das Beste reicht nicht immer. Ein Generationenkonflikt ist natürlich übergreifend und international. Insofern eine alte Kiste. Es gibt ihn in jeder Gesellschaft. Das ist nichts Besonderes, auch wenn eine türkische Familie marginal anders aufgestellt sein mag als eine deutsche. Was aber Fatma Aydemir richtig macht, ist, dass sie die Spannungskurve ihres Roman hoch hält, ich habe mich keine Sekunde lang gelangweilt, konnte mich in alle einfühlen und sogar der Schluss hat mich überzeugt. Es gibt kein Absinken der Spannungskurve in dem Romans, nicht ein einziges Mal und so verpasse ich den „Dschinns“ als gelungenem modernen türkischen Roman die üblichen fünf Sterne. Fazit: Ich sollte die ersten zwei Romane der Autorin (Ellbogen und Eure Heimat ist unser Albtraum) ebenfalls lesen. Sie hat mich neugierig gemacht. Kategorie: Gute Unterhaltung Verlag Hanser, 2022

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