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anne_hahn

Posted on 17.12.2023

"Zu schreiben heißt, sich selbst auszuliefern. Sonst ist keine Kunst. Man kann es kaschieren, aber man schreibt immer über sich selbst." Diese Aussage Tove Ditlevsen von einem 1966 mit ihr geführten Interview platziert der Autor ihrer Biografie ins erste Kapitel. Das ist ihre zweite Maxime, die er vorweg erwähnt - die erste ist die freie Wahl über den Tod, also den Suizid, welchen sie nach mehreren Versuchen im März 1976 vollendete. Zu diesem Zeitpunkt hatte die achtundfünfzigjährige Schriftstellerin dreißig Bücher geschrieben, aber nie den großen dänischen Literaturpreis erhalten, worüber sie die Autorin selbst in einem parodierenden Nachruf auf sich selbst beschwerte. Tove Ditlevsen kommt in dieser Biografie, die mit 220 Seiten ähnlich umfangreich wie jeder der drei Bände ihrer in den letzten Jahren zuerst auf Deutsch veröffentlichten wunderbaren Trilogie "Kindheit/Jugend/Abhängigkeit" ausfällt, in all ihren schillernden Facetten vor. Die Diva, die Mutter, die Liebende, die Geschäftsfrau, die Süchtige, die Hörige, die Verrückte.... Zuletzt hatte der Aufbau-Verlag den Roman "Gesichter" editiert, der eine Autorin in die Psychiatrie begleitet - nun können wir nachverfolgen, wie es wirklich dazu kam, wie Tove Detlevsen ihr Leben immer wieder in gefährliche Brackwasser steuerte, um bald wieder Segel zu setzen und zu neuen Horizonten aufzubrechen. Sie war faszinierend, sarkastisch und selbstbewusst. Eine spannende Dichterin, eine autofiktionale Roman-Autorin - eine Frau, die anderen als Vorbild diente, als der Feminismus noch in den Kinderschuhen steckte. Als Kummerkastentante einer großen Zeitschrift vertrat sie zwanzig Jahre lang auf behutsame wie ironische Weise bürgerliche Werte, um sich und ihre Schutzbefohlenen aus der Schusslinie zu nehmen - das überraschte mich! So riet sie z.B. Frauen, ihren Ehemann nicht für eine Affäre zu verlassen: "Es gibt Dinge, die wichtiger sind als dieser Flirt, den Sie im Augenblick mit dem Gedanken an Freiheit verbinden. Das ist keine Freiheit. Es ist nicht befreiend, allein zu sein..." Eine Entdeckung, große Empfehlung!

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