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«Chaves Nogales hat niemals einer Partei angehört. Sein Credo ist das der Demokratie. Er glaubte an die politische Freiheit und lehnte alle Arten von Diktatur ab, egal ob es die faschistische oder kommunistische ist, egal, ob rassistisch oder proletarisch. … Ihm ging es in Spanien immer darum, das Interesse der Massen für die gravierendsten sozialen und politischen Probleme der Zeit zu wecken.» Manuel Chaves Nogales, geboren 1897 in Sevilla, war Spaniens herausragender Journalist der Zwanziger- und Dreißigerjahre. Seine Artikel, die in dem für ihm typischen, erzählendem, humoristischem Stil, oft als Fortsetzungsgeschichten herausgab, sind bereits zu seinen Lebzeiten als Erzählungen in Bücher zusammengefasst worden. Jedes dieser Bände liest sich noch heute erfrischend und witzig – als käme ein Hundertjähriger in der Optik eines Dreißigjährigen daher. Lange Zeit schmorten seine Bücher im Keller, waren unter Franco verboten, wurden erst in jüngster Zeit in Spanien wiederentdeckt. Glücklicherweise! 1936 bis 1939 wütete in Spanien ein Bruderkrieg, der Guerra Civil. Die junge Demokratie wurde von General Franco geputscht. Ein blutiger Bürgerkrieg, in dem sich keine Seite mit Ruhm bekleckerte. Manuel Chaves Nogales arbeitete in Madrid bei der großen Tageszeitung «AHORA»; seine Artikel waren in Spanien sehr beliebt. Gleich zu Beginn des Krieges wurde die Redaktion der «AHORA» durch einen Arbeiterrat der sozialistischen Jugend enteignet. Als Chefredakteur hielt Nogales nur ein paar Monate durch. Dazu in seinem typischen Humor (die Parolen, die zu schreiben waren, waren vorgegeben), er musste «die Sache des Volkes gegen den Faschismus und die aufständischen Militärs zu verteidigen». Anfangs lavierte er sich durch, positionierte sich auf keiner Seite. «Als Antifaschist und Antirevolutionär aus innerer Veranlagung, weigerte ich mich beharrlich, an das Heilsversprechen großer Umstürze zu glauben.» Er war in Russland gewesen, hatte den Kommunismus verteufelt, ebenso die Faschisten Hitler und Mussolini. Chaves stand klar für eine Demokratie. Und ob die von den Linken Milizen gewollt war, das schien ihm nicht klar. Dieser Krieg ließ keine Mitte zu. «Ich beschloss, schreibend auszuharren und mich den Gesetzen der Evolution und des Fortschritts anzuvertrauen.» Dank seiner spitzen Feder von beiden Seiten auf die Todesliste gesetzt, musste Chaves Ende 1936 ins Exil gehen, erst nach Paris, später nach London, wo er 1944 nach einer Operation mit 47 Jahren starb; heute nimmt man an, es war ein Magenkarzinom. Sein Lebenslauf und seine Bedeutung für Spanien werden im Vorwort gut erörtert. «In nur wenigen war die «Eiserne Kolonne» zum Schrecken in der Region Levante geworden. … morodierte durch dieses alte Königreich Valencia von Ort zu Ort und widmete sich unbehelligt der Verwüstung und Zerstörung. Unter dem Vorwand, das Land von untergetauchten Faschisten zu säubern, behelligten diese Männer nach Laune mordend und plündernd, Dorf um Dorf, ohne dass sich ihnen die wenigen Kräfte, über die der Staat noch verfügte, entgegenstellen konnten. Überwiegend setzte sich diese Kolonne aus Ex-Sträflingen zusammen, die sich unter dem rotschwarzen Abzeichen der Anarchisten versteckt hielten.» 1937 erschien «¡Blut und Feuer!» im chilenischen Verlag Ercilla, das Manuskript hatte Chaves im Exil in Paris geschrieben. 9 Kriegsgeschichten, die unter die Haut gehen. Hier wird vor niemand Halt gemacht. Es sind wahre Geschichten, die aus den Erlebnissen von Chaves und Berichten entstanden. Chaves ist ein erzählender Berichterstatter, der empathisch sich auf die Seite der Menschen schlägt. Ob kommunistische Milizionäre, Faschisten, Anarchisten: Es gibt keine Schuldzuweisungen und kein Gut oder Böse. Gerade das macht die Erzählungen so glaubwürdig. Trotz aller Grauen behält der Autor seinen satirischen Unterton bei, was wiederum ein wenig den Schrecken nimmt. Madrid konnte sich lange gegen die Franquisten halten, obwohl die Luftwaffen von Italien und Deutschland die Hauptstadt unablässig bombardieren. «Massaker, Massaker» – Blut fließt auf den Straßen, davon berichtet die erste Geschichte. «Die Bosheit, die sich rasend schnell des ganzen terrorisierten Madrids bemächtigte, gerann schließlich in einem einmütigen Schrei: Massaker! Massaker!» Geschichten aus dem Leben eines Kriegs, bei dem sie Freunde plötzlich gegenüberstehen, sich gegenseitig abschlachten. Menschen denunzieren sich gegenseitig, und so mancher gerät unter falschen Verdacht, liquidiert durchs Gewehr. «Das menschliche Leben hatte jeglichen Wert verloren.» In der Geschichte «Die Reiter des Marqués» formiert sich ein Trupp des Landadels zu Pferd mit seinen Bauern, die sich mit Mistgabeln bewaffnet haben, um gegen die bewaffnete Gegenseite vorzugehen. Und der Marqués hält eine Rede, weiß, wie man das Volk behandeln muss: «Man muss es schlecht behandeln. ... Schon immer hat man so regiert, mit dem Knüppel. Das wollen diese Idioten mit ihrer Republik aber nicht wahrhaben.» Drum muss man sie bekämpfen. «Der Arbeiterrat» erinnert an russische Szenen der Revolution: Wer eine eigene Meinung hat, wird hart bestraft. Von der einen wie auch der anderen Seite laufen die Anhänger über, wenn sie erleben, wie ihre eigenen Truppen massakrieren – um dann festzustellen, die anderen sind auch nicht besser. Marokkanischen Söldner werden von den Falangisten eingesetzt. Und da steht dieser Maure mit zerschossenem Bein, ruft: «Nicht schießen, ich sein Roter. Ich sein Republik.» Die Roten gehen mit vier Männern auf ihn zu; aber nur einer hat’s überlebt, als er sein Messer hervorzieht. Der Maure kann vom Vierten überwältigt werden. Harte Kämpfer; die Mauren versuchen, Madrid zu erstürmen – viele Geschichten aus diesem Krieg, empatisch und bildlich erzählt. Spannender kann kein Roman sein. Die Charaktere sind fein literarisch herausgearbeitet und überzeugen. «Aus vertrauenswürdigen Quellen weiß ich, dass eine faschistische Gruppe in Madrid noch vor Ausbruch des Krieges, perfekt vorschriftsmäßig, die Verabredung getroffen hatte, meine Ermordung als eine der präventiven Maßnahmen gegen den möglichen Triumph der sozialen Revolution durchzuführen, ohne zu ahnen, dass die Revolutionäre, Anarchisten wie Kommunisten, ihrerseits meinten, ich sei perfekt erschießungswürdig.» Nogales Werk wiederentdeckt, in lebendiger Sprache, ist heute in Spanien ein Schritt zur Aufarbeitung der Geschichte. Während der Franco-Ära war es verboten darüber zu reden und nach dem Ende der Diktatur waren alle verstummt. Zwei verfeindete Seiten standen sich gegenüber, Nachbar an Nachbar – mussten in Frieden weiter miteinander leben. Zu tief saßen die Wunden. Heute ist es für die Nachkommen an der Zeit, sich mit ihrer Geschichte zu befassen. Wer wäre da besser geeignet als der Journalist Manuel Chaves Nogales. Alle seine Bücher sind empfehlenswert, z.B. die Glosse «Ifni. Spaniens letztes Koloniales Abenteuer» oder die die Biografie des legendären Stierkämpfers Belmonte, «Juan Belmonte, Stierkämpfer, sein Leben und seine Heldentaten». In dem vorliegenden Band vereinen sich, wie in all seinen Büchern, spanische Geschichte und Literatur zu einem fulminanten Gesamtwerk. Manuel Chaves Nogales (Sevilla, 1897 – London, 1944), Autor und bedeutendster Journalist in Spaniens Zweiter Republik, geriet aufgrund des Verbots seines Namens unter Franco in völlige Vergessenheit. Seine nicht zu brechende Liberalität beeinflusst seit seiner Wiederentdeckung in den 1990er Jahren den neu entfachten Diskurs über Spaniens Geschichte. Sein Werk umfasst Erzählungen, Romane und Reportagen und hält wichtige Erkenntnisse für das Verständnis der Funktionsweisen von militärischer Gewalt und propagandistischer Falschinformation bereit. Chaves Nogales stirbt 1944 in London. Das Ende des Zweiten Weltkriegs und den Sieg über den Totalitarismus erlebt er nicht mehr. Ein Ereignis, das er als Mensch herbeigesehnt und für das er als freiheitlicher Journalist immer geschrieben hatte.