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sursulapitschi

Posted on 5.12.2023

Mich hat schon lange kein Buch mehr so geärgert und beeindruckt. Der Erzählstil ist wunderbar eigen, originell, man möchte sich jeden dritten Satz einrahmen und an die Wand hängen. Tess Gunty beobachtet genau und bringt Dinge auf den Punkt, über die man bis dahin gar nicht nachgedacht hat. „Kaninchenstall“ nennen die Bewohner den Wohnklotz in Vacca Vale, Indiana, in dem sie leben. Die Wände sind dünn, aber bezahlbar. Wer dort wohnt, hat nicht viele Alternativen und eine Geschichte. Appartement C4 hat sogar ein blutiges Geheimnis. Dort wird die schöne Blandine ihren Körper verlassen. Ist etwa ein Mord passiert? Die Figuren sind allesamt speziell, Außenseiter, Eigenbrötler, vielleicht sogar ein bisschen verrückt, aber man lernt sie gut kennen und bekommt ihre geheimsten Gedanken zu lesen. Sie sind alle irgendwie mit Blandines Schicksal verbunden, obwohl sie sich kaum kannten. Was man hier zu lesen bekommt ist ein grandios komponiertes Gesamtkunstwerk, durch das immer wieder Kaninchen hoppeln, wenn man sie nicht erwartet. Es ist ein originelles Drama, eigentlich sogar mehrere, das Spaß macht. Es ist aber auch unfassbar ausführlich. Man muss sich gut an den roten Faden klammern, sonst verliert man ihn. Ich war mehrfach versucht, das Buch abzubrechen, wollte dann aber doch wissen, wie es ausgeht. Eigentlich wollte ich einen Stern für Weitschweifigkeit abziehen, habe es mir aber beim Verfassen der Rezension anders überlegt. Dieses Buch ist sperrig, aber genial. Tess Gunty hat für ihr Romandebüt den National Book Award erhalten, das ist wohl so einzigartig wie dieses Buch. Chapeau.

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