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gwyn

Posted on 1.11.2023

«Zwei Dinge braucht es für eine Küche: eine Hitzequelle und Geräte, mit denen man zerkleinern und zubereiten kann.» Uta Seeburg erzählt chronologisch ab 11.000 vor CHR anhand von fünfzig exemplarischen Gerichten Überraschendes, Kurioses und Wissenswertes aus der Kulinarik. Vom gegrillten Mammut bis zur Ikone der Molekularküche berichtet sie aus den Küchen der Menschheit. Die Ägypter mumifizierten Rinderrippchen fürs Jenseits; die Römer ließen lebendige Vögel aus gebratenen Wildschweinen flattern; die Christen mussten im Mittelalter circa ein Drittel des Jahres fasten; die italienischen Futuristen wollten die Pasta abschaffen; der Proviant des Kosmonauten Gagarin bestand 1961 aus Schokoladensauce und püriertem Fleisch in Tuben. Geistreich, kenntnisreich und humorvoll, allerdings nicht immer sachkundig, zeigt sie, was die Menschen in unterschiedlichen Zeiten bewegte – und wie sich dies in ihren Speisen widerspiegelte. «Da die mansaf ein Gericht ist, dessen Rezeptur hauptsächlich mündlich tradiert und in späteren Zeiten verändert und angepasst wird (heute kocht man das Lamm in einem fermentierten Ziegenjoghurt und verteilt es auf einem Bett aus Reis; in dieser Variante haben die Jordanier es zu ihrem Nationalgericht erklärt), ist manches aus ihrer frühen Zeit vergessen.» Das erste niedergeschriebene Rezept stammt aus Babylon. Bereits 850 vor CHR wurde die mansaf im syrischen Gebiet zubereitet. Früher wurde das in Wasser und Kamelbutter gekochte Ziegenfleisch auf Fladen serviert, heute auf Reis. Eine Tradition ist aber bis heute tief verankert in der arabischen Küche: die Gastfreundschaft und das Teilen. Man gruppiert sich um das Essen, das auf einem Tablett in der Mitte steht, isst mit der rechten Hand; und erst, wenn der Gast den Nachschlag erhalten hat, kommt der Gastgeber an den Tisch. Manche Erfindung erwies sich als historischer Schlüsselmoment. «1651 erscheint ein epochales Kochbuch: Le Cuisinier françois. Geschrieben hat es François Pierre dit La Varenne.» Die Buttersoße setzt sich durch. Friedrich II. erklärt die Kartoffel als Wunder der Volksernährung, doch seine Untertanen verschmähen zunächst die Frucht «… und da wir vernommen, dass der Eigensinn des Gesindes, welche die Tartoffeln zu essen sich weigern, aus dem Grunde, weil ihre Vorfahren nicht gegessen, den Anbau derselben sehr zurücke setzet.» Doch sie werden sich gewöhnen. 1892 entstand der «Verein für naturgemäße Lebensweise» in Großbritannien und leitete das vegetarische Essen ein. Um 1950 endet die koloniale Zeit in Vietnam, doch die Franzosen haben ihre Spuren in der Küche hinterlassen. Das Bán mi, ein bagutteähnliches Fastfoodteil aus Reismehl ist erfunden. Und Uta Seeburg erklärt, warum Toast Hawaii symptomatisch für die Küche der Nachkriegszeit in Deutschland war. Um 1995 wird die Molekularküche in Spanien erfunden. «Diese Menschen entwickeln sich zu extrem erfolgreichen Jägern, deren unbekümmerte carnophile Einstellung vermutlich dafür sorgte, dass die Spezies der Mammuts, Hirschelche und Riesenfaultiere aussterben» Stimmt die Behauptung? Ich hatte anderes gelesen und googelte nach. Eine These, die vermutlich unrealistisch ist, wenn man dem Mammutmuseum eher glauben mag, das meint: «Das scheint mit den damals vorhandenen einfachen Waffen unwahrscheinlich, da allein schon die dicke Haut und Fettschicht für Holzspeere und Steinklingen nur schwer zu durchdringen waren.» – Man vermutet: «Ein rascher Temperaturanstieg und vermehrte Niederschläge setzten die an das kalte Klima angepassten Eiszeitriesen unter Anpassungsstress und brachten deren Nahrungsgrundlage, die weiten Grassteppen, zum Verschwinden.» Stimmt die Behauptung? Ich hatte anderes gelesen und googelte nach. Eine These, die vermutlich unrealistisch ist, wenn man dem Mammutmuseum eher glauben mag, das meint: «Das scheint mit den damals vorhandenen einfachen Waffen unwahrscheinlich, da allein schon die dicke Haut und Fettschicht für Holzspeere und Steinklingen nur schwer zu durchdringen waren.» – Man vermutet: «Ein rascher Temperaturanstieg und vermehrte Niederschläge setzten die an das kalte Klima angepassten Eiszeitriesen unter Anpassungsstress und brachten deren Nahrungsgrundlage, die weiten Grassteppen, zum Verschwinden.» Vorlieben und Essgewohnheiten der Menschen im Wandel der Zeit. Not oder Entbehrung macht erfinderisch und manches Dekadente bringt eine wohlhabende Zeit mit sich, zumindest für die Finanzkräftigen. Sitten und Gebräuche, neue Entdeckungen, Vermischung von Kulturen, die Speisekarten der Welt werden hier amüsant dargeboten in 50 kleinen Geschichten. Aber Achtung! Mit der Stimmigkeit der Storys wäre ich vorsichtig. Denn was mich anfänglich zu Kopfschütteln bringt, ist nicht die einzige Fakenews im Buch. Das sollte man wissen, wenn man gern kocht: Knochenmark enthält viel Fett, aber wenig Protein (deshalb sind Markklößchen so lecker, bzw. man kocht Markknochen für gute Brühen aus). Hier wird gesagt, die Steinzeitmenschen wären scharf auf das Knochenmark gewesen – das mag sein. Weiter wird behauptet, es sei «außergewöhnlich proteinhaltig» und ließe deshalb das Gehirn der Menschen wachsen. Da schlägt man sich zweimal vor den Kopf für solchen Blödsinn. Auch der Lektor hat hier geschlafen! Im Buddhismus ein absolutes Fleischverbot? Keinsfalls! Das Schächten dient dem Tiewohl, abmurksen auf sanfte Art? – Weil die anderen Religionen die Tiere mit Steinen usw. erschlugen oder ertränkten. Jöhh, woher bezieht Uta Seeburg diese Kuriosität? Das stimmt auf keinen Fall. Die Metzgerausbildung war ein ausgeklügeltes Gewerbe. Und ich bezweifle, dass ein Teig für Backfisch aus Milch und Eiern um 1860 in Großbritannien ein Armenessen war. Fish and Chips wird heute aus einem Bierteig gemacht, oder mit Wasser, dem lediglich Mehl und eine Prise Salz zugefügt wird. Früher mit Milch und Eiern? Das halte ich für unwahrscheinlich. Es gäbe so einiges in diesem Buch nachzurecherchieren, dass mir als Laie reichlich merkwürdig vorkommt – wenn mir als normaler Leser so viel Ungereimtes auffällt, was mag dann noch alles falsch sein?. Das nenne ich für ein Sachbuch recht unsachlich und für eine Journalistin unseriös, die sich Märchenstunden eigentlich nicht leisten darf. Immerhin das Buch ist unterhaltsam; für mich eher mehr in Richtung Brüder Grimm. Für ein Sachbuch nur 1* und für die Unterhaltung 4*. Amüsant ja, aber leider mit einigen Fakenews unterfüttert – was auch nicht unbedingt für das Lektorat eines Sachbuchverlags spricht. Uta Seeburg arbeitete jahrelang als Redakteurin für die Zeitschrift ARCHITECTURAL DIGEST. Dort berichtete sie über Design und Reisen, verfasste zudem zahlreiche kulinarische Essays. Heute widmet sich die promovierte Literaturwissenschaftlerin und Autorin historischer Kriminalromane ganz dem Schreiben von Büchern.

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