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gwyn

Posted on 1.11.2023

Der Anfang: «Sara Linton presste das Telefon ans Ohr und beobachtete gleichzeitig, wie ein Arzt im Praktikum einen Patienten mit einer klaffenden Wunde am rechten Arm begutachtete. Der frischgebackene Dr. Eldin Franklin hatte nicht seinen besten Tag. Seine Schicht in der Notaufnahme war gerade mal zwei Stunden alt, und schon hatte ein Käfigkämpfer auf Drogen damit gedroht, ihn umzubringen, und die Rektaluntersuchung, die er bei einer obdachlosen Frau durchführte, war entsetzlich aus dem Ruder gelaufen.» Die Gerichtsmedizinerin Sara Linton muss in einem Prozess aussagen. Ein Student wird beschuldigt, eine Frau vergewaltigt zu haben, die an den Folgen ihrer Verletzungen verstarb. Sara kennt seine Eltern recht gut, Ärzte, Teil ihrer Clique während ihres Studiums. Sie hatte mit diesen Leuten vor fünfzehn Jahren gebrochen, als sie selbst nach einem Barbesuch brutal überfallen wurde. Sie wäre fast gestorben, hatte sich nur mit Mühe in das Krankenhaus schleppen können, in dem sie arbeitete. Damals hatte sie ihre vielversprechende Karriere aufgegeben, war zunächst traumatisiert nach Hause zurückgekehrt und hatte sich dann für die Rechtsmedizin entschieden. Den Kerl hatte man verhaften können, den Hausmeister des Krankenhauses, der auch verurteilt wurde. Mittlerweile hat sie es geschafft, das Trauma hinter sich zu lassen und sie ist verlobt mit einem Cop, Will Trent. Eines Nachts, während sie in der Notaufnahme arbeitet, verändert sich alles. Eine junge Frau wird nach einem Überfall schwer verletzt eingeliefert, und Sara kämpft um ihr Leben, als sie ihr noch etwas zuflüstert, bevor sie stirbt. Sara sagt vor Gericht aus, erörtert ihre Spurensicherung im Auto der Verstorbenen, die Erstversorgung, ihre Untersuchung nach dem Tod, die letzten Worte der Studentin, für die sie keine Zeugen hat. Die Anklage basiert auf die Spurenlage, die in der Reihe zwar logisch Schlussfolgerungen zulassen – doch sie sind keine hundertprozentigen Beweise. Der Angeklagte wird freigesprochen. «‹Wie kann man sich zu gut kleiden?› ‹Es ist die Sache der Klassenzugehörigkeit. Du kannst einen Haufen Geld für Klamotten ausgeben, aber es müssen die richtigen Klamotten sein. Dein Auto muss die richtige Art von Auto sein. Das gleiche gilt für deinen Wohnort, sogar für den Straßenabschnitt. Und wo deine Kinder zur Schule gehen, welche Organisationen du unterstützt und in welchen Club du gehst …› Sara zuckte mit den Achseln. ‹Das sind die Torwächter, die darüber entscheiden, was cool ist und was als zu bemüht gilt. Es ist ein ständig im Wandel begriffenes Ideal.» Sara, sowie Will und Faith, die leitenden Detektivs des Falls, sind sich sicher: Er war es! Sara erinnert die Sache stark an ihre eigene Vergewaltigung, denn obwohl der Täter gefasst wurde, gibt es einige Paralleln. Ein zufälliges Gespräch auf der Damentoilette während des Prozesses lässt sie aufhorchen: Die Mutter des Angeklagten, ihre alte Bekannte, steht völlig neben sich am Waschbecken, schluckt Tabletten und dummerweise rutscht ihr heraus, dass alles zusammenhängt – das, was damals geschah und heute. Sara ist sich nun sicher; sie, Will und Faith ermitteln darauf auf eigene Kappe. Vielleicht gibt es weitere Opfer. Und wer von der alten Clique steckt dahinter? Gibt es ein System, möglicherweise mehrere Täter – Väter, Söhne …? «‹Das ist die ganze Chiquita-Fabrik›, sagte er. ‹Die aktuelle Incel-Website ist das wichtigste Rädchen, das die Maschinerie der männlichen Überlegenheit im Internet antreibt. Größtenteils weiß, größtenteils jung, alle männlich, alle bringen sie Hass, Frauenfeindlichkeit, Selbstmitleid, Selbsthass und das Gefühl, einen Anspruch auf Sex zu haben, zum Ausdruck. Außerdem lieben sie Gewalt gegen Frauen und sind die üblichen Rassisten.›» Das Thema der sexualisierten Gewalt wird hier aus allen Blickwinkeln ausgeleuchtet. Auch dieser Thriller ist gut, aber Karin Slaughter kommt an ihre vorigen Romane nicht heran. Zu viele Wiederholungen und Längen nehmen ein wenig die Spannung, und trotz einiger Wendungen ist die Linie klar und wenig überraschend. Die Spannung fokussiert sich eher darauf, wie die Ermittler versuchen, die Clique auseinanderzunehmen. Gut, am Ende kann zumindest ein unerwartetes Ereignis punkten. Mit viel Empathie nimmt sich die Autorin des Themas an: sexualisierte Gewalt an. Ziemlich widerlich gestaltet sich das Gehabe der privilegierten Männer. Hört man denen zu, bekommt man Schnappatmung. Das Schlimme an der Sache ist, dieses Denken über Frauen ist (besonders in den USA) ziemlich weit verbreitet. Hier geht es nicht um diesen einen Mörder, sondern um ein weitverbreitetes Denkmuster, Frauen klein zu halten, sie als dreckige Schlampen, als Haussklaven zu betrachten, sich über sie zu stellen, sie als minderwertige Menschen zu bewerten. Der Fehler im System – die Angst des bevorrechtigten weißen Mannes, Konkurrenz durch Frauen zu bekommen – Statusverlust im Job, in der Gesellschaft. Vergewaltigungen sind an US-Universitäten keine Seltenheit, die wenigsten werden angezeigt. «Leider» sind diese Charaktere hier ziemlich authentisch – etwas, das uns Frauen Angst machen sollte, insbesondere, da die extrem konservative Gesellschaft immer mehr an Macht gewinnt. #metoo – ein Thema, das uns noch länger begleiten wird. Die Charaktere sind bei Karin Slaughter stets sehr fein herausgearbeitet. Ein zentrales Thema in seiner gesamten Dimension, kein Noir-Thriller für zarte Nerven - Hardboiled. Ein wichtiges, immer noch spannendes Buch, auch wenn es einige Wiederholungen und Längen gibt. Karin Slaughter ist die Autorin von über 20 New-York-Times-Bestseller-Romanen. Dazu zählen Cop Town, der für den Edgar Allan Poe Award nominiert war, sowie die Thriller Pretty Girls, Die gute Tochter und Ein Teil von ihr. Ihre Bücher erscheinen in 120 Ländern und haben sich über 40 Millionen Mal verkauft. Ein Teil von ihr ist als Serie mit Toni Collette bei Netflix erschienen. Die falsche Zeugin sowie die Grant-County- und die Georgia-Reihen werden derzeit fürs Fernsehen verfilmt. Slaughter setzt sich als Gründerin der Non-Profit-Organisation »Save the Libraries« für den Erhalt und die Förderung von Bibliotheken ein. Die Autorin stammt aus Georgia und lebt in Atlanta.

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