Profilbild von gwyn

gwyn

Posted on 1.11.2023

Ein sozialkritischer Comic, aufgebaut wie ein Tagebuch: Kanada, 2005, in den die Ölsanden kann man verdammt viel Geld verdienen. Die junge Historikerin Katie aus Nova Scotia hat ihr Studium beendet. Doch sie kann sich ausrechnen, dass sie es mit einem Job in ihrem Berufsfeld schwer haben wird, ihr Studentendarlehen abzubezahlen. Das Gehalt wird nach Abzug der Raten zum Leben vorn und hinten nicht reichen. So beschließt sie, zunächst einen harten Job zu absolvieren, um den Kredit zu tilgen und macht sich auf ins vom Ölrausch beseelten Alberta an die kanadische Westküste. Auf den Ölsanden Kanadas, wo die Industrie seit Jahren die Landschaft abträgt und die Erde durch Fracking vergiftet, lernt Katie eine harsche Wirklichkeit unter Männern kennen, in der die Sitten so rau sind wie die Witterung. Schonungslos gibt sie den Alltag im Fracking-Camp wieder, der von Übergriffen, Einsamkeit und extremer körperlicher und seelischer Belastung geprägt ist. Die autobiographisch eindrucksvolle und berührende Graphic Novel in Schwarz-Weiß gezeichnet verdient Beachtung! «Syncrude, Mildred Lake» – der erste Job in der Werkzeugausgabe. Nur Männer um sie herum (50:1 ist das Verhältnis) und riesige Maschinen, Trucks und Kräne; die Temperaturen sind eisig. Blicke auf sie, Geflüster und klare Anmache, ununterbrochenen sexistisches Gehabe. Die Luft riecht nach Testosteron, nur toxische männliche Gewalt. Mehrfach wechselt Katie die Camps zu anderen Arbeitsstellen, aber überall herrscht der gleiche Sound. Als wenn verbale sexueller Gewalt nicht genug wäre, Katie wird zwei Mal vergewaltigt, einmal als schwarzer Panels #metoo dargestellt. Doch es geht auch um diese Arbeiter, die fern der Heimat jahrelang im Camp ausharren. Die Enge kommt fast einer Käfighaltung gleich, die in den Menschen etwas auslöst. Das Gefühl des Eingesperrtseins; obwohl man ja gehen könnte; die Einsamkeit, die einen überfällt, wenn man in einem Gruppengefüge lebt, das an der realen sozialen Struktur des Zusammenlebens vorbeiläuft. Freizeitaktivitäten hier in der Kälte: Stripclubs, Partys auf den Zimmern – das du hinterher nicht wiedererkennst – stumpf rumhängen. Diese Menschen vermissen ihre Familien, leben in sozialer Isolation. Die Frauen und Kinder sind fern; man ist hier lediglich gelandet um Kohle zu scheffeln für die Familie; manche arbeiten hier ziemlich lange, zu lange. Alkohol- und Drogenmissbrauch sind oft das Ergebnis oder Depressionen. «Die Ölsande agieren auf gestohlenem Land. Ihre Verschmutzung, Arbeitscamps und ständig anwachsende Siedlerbevölkerung haben weiterhin ernsthafte soziale, ökonomische, kulturelle. Ökologische und gesundheitliche Konsequenzen für die indigenen Gemeinschaften in der Region. Ich fordere alle auf, die Geschichte und die aktuellen Probleme der Athabasca Chipewyan First Nation, der Chipewyan Pairie First Nation, der Fort McKay No. 468 First Nation, der Mikisew Cree First Nation sowie der Métis-Gemeinschaften in Nord-Alberta besser zu verstehen.» (Nachwort) Ein zweites Thema ist die Ölförderung. Kanada ist eins der ölreichsten Länder. Doch hier wird nicht gebohrt, da das Öl im Sand gebunden ist. Die Bitumen sind eine zähe Masse, weshalb der Teersand mit Hilfe von Dampf in seine Bestandteile zerlegt werden muss. Sand, Ton und andere im Öl unerwünschte Stoffe werden abgetrennt und das Bitumen kann abgepumpt werden. Dabei wird heißer Wasserdampf in die unter der Erdoberfläche liegende ölsandführende Schicht eingebracht. Der heiße Dampf verflüssigt das gebundene Öl, das dann ohne zu graben abgesaugt werden kann (wie im Comic beschrieben). Das sogenannte In-Situ-Verfahren braucht noch weit mehr Energie, man benötigt sehr viel Wasser, um Öl und Sand zu trennen . Die verbleibenden, bisher gebundenen Stoffe sowie das Produktionswasser sind toxisch und tragen zur Vergiftung des Grund- und Oberflächenwassers bei. Massive Schäden für die Umwelt sind das Ergebnis, Lebensräume von Tieren und Pflanzen werden zerstört, Flüsse und Grundwasser vergiftet. Kate Beatons wurde in einem Interview gefragt, warum sie den Comic «Ducks nannte. Und sie antwortete: «In den giftigen Abwasserbecken sind mehrfach Enten gestorben. Ihnen erging es ähnlich wie den Arbeitern. Sie zogen umher, glaubten, an einen für sie guten Ort gekommen zu sein – und der wurde ihr Verhängnis. Außerdem hat das Schicksal der Enten erstmals weltweit auf die kanadische Ölförderung aufmerksam gemacht. Vorher hat sich niemand dafür interessiert. Angesichts der sonstigen ökologischen, sozialen und gesundheitlichen Schäden, die aufs Konto der Ölförderung gehen, war die Aufregung über die Enten allerdings unangemessen und heuchlerisch.» Ein beeindruckender Comic-Band, der auf der einen Seite eine gesellschaftskritische Anklage ist, #metoo behandelt, andererseits genau das zutage bringt, was geschieht, wenn Menschen abgeschottet zu lange in Camps leben in dissozialen Verhältnissen. Gleichzeitig ist es eine Anklage an die Umweltverschmutzung in Kanada, die durch die Ölförderung entsteht. Öl ist keine saubere Energie! Unberührte Natur wird hier beschädigt, ein Schaden, der über Jahrzehnte nicht zu reparieren sein wird. Eine autobiografische Graphic Novel die zu Herzen geht! Meine Altersempfehlung: Allage, ab 14 Jahren. Klare Leseempfehlung. Kate Beaton wurde mit ihrem Web-Comic «Obacht, Lumpenpack!» (Zwerchfell Verlag) bekannt, in dem sie Figuren aus Historie, Pop-Kultur und literarischem Kanon auf den Zahn fühlt. Mit «Ducks» gelang ihr in Kanada und den USA DER Graphic-Novel-Erfolg der letzten Jahre. «Ducks – Zwei Jahre in den Ölsanden» war auf Barack Obamas jährlicher Empfehlungsliste, als erster Comic überhaupt, und auf den Bestenlisten 2022 der New York Times, des New Yorkers, des Time-Magazins, der Washington Post und vielen weiteren Publikationen. «Kate Beaton hat aus ihren harten Erfahrungen in den Ölsanden eine umfangreiche und vielschichtige Bilderzählung geschaffen – voller Anmut –, die die Humanität jener Menschen einfängt, die eine Art ‹schmutzige Arbeit› verrichten, an der wir alle mitschuldig sind.» – Alison Bechdel

zurück nach oben