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gwyn

Posted on 31.10.2023

Die Binders und die Strobl-Marineks gönnen sich einen exklusiven Urlaub in der Toskana. Tochter Sophie Luise, 14 Jahre alt, darf ihre Schulfreundin Aayana mitnehmen, ein Flüchtlingskind aus Somalia, Asylstatus der Familie: anerkannt. Kaum hat man sich mit Prosecco und Antipasti auf der Terasse in Ferienlaune gechillt, kommt es zur Katastrophe. Man wollte Aayana das Schwimmen beibringen – doch bevor es dazu kommt, ist sie im Pool ertrunken. Kann man die Familien dafür verantwortlich machen? Muss man ein 14-jähriges Mädchen ständig beaufsichtigen? Die italienische Polizei ermittelt, aber schnell stellt sie fest: Das ist ein schrecklicher Unfall, niemand trägt die Schuld. «‹Aayana, alles okay mit dir?›, ruft Elisa hinüber. ‹Ja›, kommt es mit dünner Stimme zurück. ‹Geht es dir gut?› ‹Danke. Und Ihnen?› ‹Du kannst ruhig du sagen. Ich bin die Elisa.› ‹Danke.› ‹Das ist ja wirklich eine Süße, und so brav, die spürst du gar nicht›, meint Engelbert. ‹Sie spricht auch schon sehr gut Deutsch›, lobt Melanie. ‹Zumindest ,Danke‘ kann sie gut, viel mehr hat sie noch nicht gesprochen›, bemerkt Oskar. ‹Ich finde das jedenfalls großartig von euch›, sagt Melanie. ‹Was?› ‹Dass ihr ein Flüchtlingskind mitgenommen habt. Schon rein als Symbol.› ‹Als Symbol wofür?›, fragt Oskar. ‹Als Symbol dafür, dass ... dass ... dass auch die Chancenlosen einmal eine Chance kriegen. Es ist ja alles so verdammt ungerecht verteilt. Was kann das Kind dafür, dass es irgendwo im hintersten Afrika zur Welt gekommen ist und nicht in ... in ...› ‹Wien-Döbling›, ergänzt Oskar.» Elisa Strobl-Marinek ist eine prominente Politikerin der Grünen in Österreich, und schnell erreicht der Fall die Medien, und sie hat Angst, dass ihre Karriere in Gefahr geraten könnte, denn sie hat Chancen auf einen Ministerinnenposten. Ihr Mann, Uni-Prof Oscar, nimmt sich einen Anwalt. Ein alter Studienfreund, ein g`schmieriger Laffel. Für die Binders interessiert sich niemand, keine Promis, es war ja auch nicht «ihr Kind», für das sie Verantwortung trugen. Engelbert, ein «kleiner stämmiger Mann Mitte vierzig», ein «Spitzen-Biowinzer» aus Niederösterreich, seine Frau Melanie arbeitet im Veranstaltungsmanagement. Sophie Luise wird in der Schule in die Mangel genommen und muss mit ihren Selbstvorwürfen leben. Man übt sich im Totschweigen, strampelt weiter im Hamsterrad – jeder für sich in seinem. Für Reflexion bleibt keine Zeit; und die Angst sitzt im Nacken, dass man sich hierbei etwas eingestehen könnte, das man lieber begraben möchte. Doch die Medien und Social media sind an der Sache dran, die Kommentare aus Internet-Foren überschlagen sich. «Das Unglück hat sich in die Hinterköpfe gegraben und dreht dort Endlosschleifen. Es löst die Strukturen zweier Familien auf, versetzt deren Alltag in chronische Ausnahmezustände, kontrolliert die Nächte, dirigiert die Träume, und jedes Erwachen führt zum Ausgangspunkt zurück…» Immer wieder wird hier aus Medien zitiert und Kommentare der User offeriert. Das ist lebendig, lebensecht, auch wenn der Autor hierbei stark an Klischees vorbeischrammt – ebenso in seinen Figuren, manche, die Überspitzung zur Karikatur macht. Das ist gewollt; Satire bedient sich daran. Es gab eine Phase für mich, in der ich dachte: Nun ist aber gut. Wir wissen es. Der Plot kippte in Langeweile. Doch plötzlich zog die Sache an. Zwei spannend eingeflochtene Stränge, die der Geschichte eine Wendung geben, lassen spannend auf das Ende zureiten. Auch die Sprache kippt – wandelt von Sarkasmus zur Empathie. Das ist gut gelungen. «Die Wahrheit ist ein Chamäleon, sie wechselt ihre Farbe mit dem Blickwinkel des Betrachters.» Was ist ein Menschenleben wert? Und jedes gleich viel? Daniel Glattauer präsentiert starke Dialoge, Sprachwitz und setzt mit Slapstick bissige Satire ein. Er zeichnet ein Sittenbild unserer privilegierten Gesellschaft, entlarvt ihre Doppelmoral durch, Arroganz, Ignoranz, Rassismus, Egoismus und Vorurteil; Gutmenschen, die Interesse heucheln für die Armen und Fremden, letztendlich an diesen Menschen gar nicht interessiert sind. Sehr fein am Anfang dargestellt, wie man Ayana neue Bekleidung kauft, einen Bikini, Sommerkleidung – man will sie befreien vom Kopftuch und Burkini, ihr die Freiheit geben, sich zu emanzipieren von Religionsvorschriften, vom Elternhaus. Niemand fragt sie, ob sie das überhaupt will. Wer ist eigentlich Ayana? «Keine Schülerin weiß irgendwas über sie, außer das Offensichtliche, dass ein schwarzes Kopftuch ihre schwarzen Haare und die schwarze Stirn ihres schwarzen Gesichts verhüllt.» Niemand weiß etwas über sie, ihre Familie, wer sie ist, wo sie herkommt und warum. Denn eigentlich hat es auch niemanden interessiert. Daniel Glattauer verleiht am Ende jenen eine Stimme, die viel zu selten zu Wort kommen. Ein Roman, den man unbedingt lesen sollte! Ein gutes Thema, eine Gesellschaftsglosse mit Humor und Empathie aufbereitet. Daniel Glattauer, geboren 1960 in Wien, Bücher (u. a.): Die Ameisenzählung (2001), Darum (2003), Der Weihnachtshund (Neuausgabe 2004), Theo (2010), Mama, jetzt nicht! (2011), Ewig Dein (2012), Geschenkt (2014). Mit seinen Romanen Gut gegen Nordwind (2006) und Alle sieben Wellen (2009) schrieb er Bestseller, die auf der ganzen Welt gelesen werden. Die Komödie Die Wunderübung (2014) ist als Buch, am Theater und als Film sehr erfolgreich. Auf der Bühne sind auch die Komödien Vier Stern Stunden und Die Liebe Geld zu sehen. Und 2019 kam die Verfilmung von Gut gegen Nordwind ins Kino. Zuletzt erschien der Roman Die spürst du nicht (2023).

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