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gwyn

Posted on 31.10.2023

Am 17. Juni 1527 stach eine Flotte unter der Leitung des Spaniers Pánfilo de Narváez von Sanlúcar de Barrameda in See, um in Florida Gold zu suchen, Siedler an Bord, die sich dort niederlassen wollten. Sie gerieten in einen Hurrikan, verloren ein Schiff. Auf Hispaniola (das heutige Haiti) angekommen, desertierten 140 Männer. Im Frühjahr 1528 fuhren sechs Schiffe mit 500 Männern von Kuba aus an Floridas Westküste, Nähe der heutigen Tampa Bay, um die Expedition zu starten. Alvar Núñez Cabeza de Vaca überlebte als Einziger und veröffentlichte im Jahr 1542 einen Bericht über langjährige Expedition – die wichtigste Quelle zur Narváez-Expedition. Angekommen nahm man Ureinwohner gefagen, folterte sie, aber Gold in Sicht. Die Gefangenen berichteten vom Gold und reichlich Nahrung in Apalache. So teilte sich die Expedition: eine Gruppe sollte ein Stück mit den Schiffen weitersegeln und mit 300 Männer marschiert Narváez durch die Sümpfe und dichte Wälder nach Norden. Die Nahrung war knapp. Immer wieder gab es Kämpfe mit den Stämmen um Nahrung. Die Gruppe dezimierte sich: krank, verwundet, geschwächt, im Kampf getötet, viele der Männer starben unterwegs. Der Rest schaffte es zurück ans Meer, wo sie sich von Austern ernährten, Dörfer überfielen und kleine Schiffe bauten. Am 22. September 1528 stachen die Spanier mit 242 Männern, verteilt auf fünf Boote, Richtung Westen in See. Mit nur 80 Männer erreichten sie die «Insel des schlechten Schicksals» (Galveston, Texas), wo sie die Gestandeten von den Schiffen der Expedition fanden. Im Sturm verschwand auch Pánfilo de Narváez mit seinem Boot. Etwa 100 Männer kämpften ums Überleben, wollten ans Festland zurück, aber die meisten verhungerten, starben an Krankheiten oder wurden von Einheimischen getötet; der Hunger trieb einige sogar dazu, ihre verstorbenen Kameraden zu essen. 1532 waren nur noch vier der Männer am Leben, die es bis nach Texas geschafft hatten: Álvar Núñez Cabeza de Vaca, Andrés Dorantes de Carranza, Alonso del Castillo Maldonado und der Sklave Estevanico. Jahrelang gingen sie zu Fuß nach Westen, bis sie im heutigen Norden von Mexiko auf Europäer stießen, erreichten am 24. Juli 1536 Mexiko-Stadt. Auch Juan Ortiz fand sich unterwegs wieder, der in einem Dorf 12 Jahre als Sklave gehalten wurde. Erst am 9. August 1537 traf Cabeza de Vaca in Spanien ein, nun als einziger Überlebender der Expedition. Soweit der geschichtliche Hintergrund. «Das Land um uns herum war flach und dicht bewachsen. Wo das Licht durch das Blätterlicht drang, leuchtete es mattgrün, manchmal auch gelblich. … Oft lag hinter den Bäumen ein stiller, von frei liegenden Wurzeln umgebener Sumpf, über den sich schleimige Äste beugten. Nach jeder Durchquerung war ich von Kopf bis Fuß mit grauem Schleim bedeckt, der an den Beinen und zwischen den Zehen verkrustete. Der Juckreiz trieb mich fast in den Wahnsinn.» Laila Lalami hat sich von dem Bericht des Cabeza de Vaca inspirieren lassen und hat das Scheitern der Konquistadores mit ihrer anschließenden Flucht aus Florida aus der Sicht des Sklaven Estevanico geschildert, der eigentlich Mustafa ibn Muhammad ibn Abdussalam al-Zamor heißt. Native Americans werden im Roman als Indianer bezeichnet – was in diesem Fall für mich richtig im historischen Kontext steht. Der Roman beginnt atmosphärisch und auch spannend. Die eingeschobenen Rückblicke in das Leben von Estevanico haben mich ein wenig irritiert – für mich die besten Passagen im Buch. Er berichtet von seiner Geburt, seiner Kindheit bis hin ins Erwachsenenleben, zur Versklavung – mit einem Schlag Humor. Ist man aber in das Leben der Mauren versunken, wird man herausgeschleudert in die Sümpfe nach Florida und umgekehrt. Das war für mich gewöhnungsbedürftig – nett geschrieben, passte für mich nicht hinein. Nach einem spannenden Anfang und den ersten Begegnungen mit Indianern empfand ich den weiteren Verlauf der Story als Wiederholungsschleife. Das Zusammentreffen mit diversen Indianerstämmen wird heruntererzählt – auf eine Weise gleichgeschaltet. Stets die einen gegen die anderen – wo es bekanntlich sehr unterschiedliche Stämme gab, was hier nicht gut herausgearbeitet ist. Die Eroberer sind arrogant gegenüber den Einwohnern, den «Wilden». Die Konquistadores, verhalten sich übel, meinen, sie wären die besseren Menschen. Das ist ganz gut geschildert, auch wie sie den Zorn der Stämme spüren, die Eroberung sich nicht immer einfach gestaltet. Die Pferde sind eher hinderlich, die Metallrüstungen machen sie unbeweglich und die fein gezielten Speere der Stämme dringen durch sie hindurch. Der Roman zeigt, wie lebensunfähig die Spanier letztendlich auf diesem fremden Gelände sind, auf die Urbevölkerung angewiesen, um nicht zu verhungern. Die anfängliche Atmosphäre ist im Roman bald nicht mehr zu spüren, und die Widerlichkeit der Spanier doch recht harmlos inszeniert. Und ich frage mich, weshalb Estevanico ein solcher Gutmensch ist, der genauso verzweifelt ist, zu überleben, sich aber nichts von dem zu Schulden kommen lässt, was die Spanier anrichten. Ein Abenteuerroman, der recht seicht daherkommt. Vor nicht langer Zeit hatte ich «Die Eroberung Amerikas» von Franzobel gelesen, ein Kracher: 1538 gab die spanische Krone einem Eroberer aus Südamerika, Hernando de Soto, den Auftrag, «La Florida» einzunehmen. Eine ähnliche Expedition, die dieser direkt folgte, die ähnlich scheiterte. Der Roman von Franzobel hat alles, was der Roman von Laila Lalami nicht hat: 
 Skurrile Typen, grausame Begebenheiten aus einer bestialischen Epoche (die bei Laila Lalami sehr harmlos herüberkommen), ziemlich viel beißender Humor, Satire, Slapstick, Sprachspiele, Sprachgewandtheit, auch wenn dem Leser gelegentlich das Lachen im Halse steckenbleibt. Alles das vermisse ich bei Laila Lalami! Historisch fehlt es an Genauigkeit, z. B. tragen Spanierinnen Korsetts, die erst später erfunden werden oder Ureinwohner ein Hermelin, das sicher nicht in die Region passt und so einiges andere. Ab der Mitte war es für mich nur noch ein Heruntererzählen der Geschichte und sie konnte mich nicht mehr packen. Wahrscheinlich hatte ich immer den anderen Roman als Vergleich im Kopf … Weder sprachlich, atmosphärisch, noch in den Charakteren kann dieser historische Roman da mithalten. Laila Lalami wurde in Rabat geboren und hat in Marokko, Großbritannien und den Vereinigten Staaten studiert. Sie ist Pulitzer-Preis-Finalistin und Autorin von vier Romanen und zahlreichen Essays, die u. a. im Guardian und der New York Times erschienen sind. Die Anderen stand auf der Shortlist des National Book Award. Laila Lalami ist Professorin für Kreatives Schreiben an der University of California und lebt in Los Angeles.

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