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ninchenpinchen

Posted on 27.10.2023

Ein Irrer und eine Hörige „Muna“ hatte ich schon lange auf meiner Wunschliste, bevor ich wusste, dass dieser Roman auf der Longlist (und später auf der Shortlist) des Deutschen Bücherpreises 2023 landen würde. Einfach, weil Terézia Mora unvergleichlich ist und ich ihren Roman „Das Ungeheuer“ so umwerfend gut fand, dass ich gerne wieder etwas Neues von ihr lesen wollte. Dafür erhielt sie verdienterweise den Deutschen Buchpreis 2013. Irgendwie sind ja gerade toxische Beziehungen (nicht nur) in der Literatur angesagt und dieses Thema ist immer wieder neu und auch immer wieder alt, bzw. unvergänglich. Hier also bewegen wir uns im Germanisten-Milieu, was mich ohnehin schon reizt. Muna, die Protagonistin, und Ich-Erzählerin wächst in einer fiktiven DDR-Stadt auf, der Vater ist lange verschwunden und die Mutter ist Schauspielerin am Theater. Bei einem Volontariats-Job lernt Muna Magnus kennen, der ist Fotograf und Französischlehrer. Und ja, er sieht umwerfend gut aus, hat aber m. E. ansonsten so gut wie keine Qualitäten. Eher im Gegenteil. Muna und Magnus landen im Bett, danach verschwindet er spurlos. Er will sich halt nicht festlegen, dauerhaft nicht festlegen. Alle anderen Männer sind nicht gut genug für Muna. Zwar gibt es Einige und Interesse haben viele, denn Muna ist blond und attraktiv, aber gegen das imaginäre Dauervorbild Magnus können die anderen Männer nicht anstinken. Keiner von ihnen. Bis irgendwann, bei einem total bescheuerten Freilichttheater Magnus von Muna erblickt wird und mehr oder weniger widerstrebend lässt er sich auf eine Beziehung ein. Jedenfalls auf das, was er unter Beziehung versteht. Es findet sogar eine gemeinsame Reise statt, aber immer geht alle Initiative von Muna aus. Er behandelt sie schlecht, aber das hält sie nicht davon ab, ständig bei ihm und um ihn sein zu wollen. So schade um diese intelligente und schöne Frau, die so die Hälfte ihres Lebens buchstäblich verschwendet. "Der Schlüssel ist, so zu tun, als wärst du eine von ihm unabhängige Frau mit einem eigenen Leben, einer eigenen Laufbahn. Unkompliziert sein und gut aussehen. Nicht zu viel Quatsch erzählen, nicht klagen und nicht zu viel fragen." (Seite 254) Wie man sieht, betreibt Muna hier Selbstverleugnung ohne Grenzen, erreicht aber nie, was sie erreichen möchte: Dass sie für Magnus genauso wichtig ist, wie er für sie. TM seziert ihre Protagonisten so tiefgründig, als lägen sie bereits in der Pathologie. Es gibt sehr, sehr viel Neues zu entdecken in diesem Buch, es wimmelt nur so vor Weisheiten, bekannten und unbekannten, und ist (trotzdem oder gerade deswegen) so spannend und so bravourös und ungewöhnlich geschrieben, dass man immer dranbleibt. Zum Glück hält sich der Ausflug ins „Gendern plus Kultur“ extrem kurz und schmerzlos auf den Seiten 300 und 301. „Das Ziel, ebenso vielen Frauen wie Männern wie anderen Geschlechtern einen Platz in Spitzenpositionen der Wissenschaft und der Wissenschaftspolitik zu gewähren, …“ (S. 301) Ansonsten wäre es wirklich höchst bedauerlich gewesen, wenn dieser grandiose Roman dadurch zum woken Geschreibsel verkommen wäre. Fazit: 441 Seiten, die man nicht verpassen sollte und auch, wenn ich die anderen Bücher der Shortlist 2023 nicht kenne, wünsche ich Terézia Mora den erneuten Gewinn des Deutschen Buchpreises von ganzem Herzen. *****

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