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Schweigen ist nicht immer das Beste! Inhalt: -------------- Die 33-jährige Silvia hat vor kurzem ein Kind bekommen. Der Mann hat sich direkt nach der Bekanntgabe der Schwangerschaft getrennt. Silvia fühlt sich in ihrer Berliner WG eingeengt und hat angesichts der Geburt ihrer Tochter Hannah den Wunsch, mit ihrer Mutter Evelyn zu reden. Seit sie vor vielen Jahren ihre Heimatstadt Ildingen verlassen hat, hatten sie keinen Kontakt zueinander. Es gab zu viele unausgesprochenen Verletzungen und einige Geheimnisse, die bis heute unbeantwortet blieben. Wird es Silvia gelingen, mit ihrer Mutter, ihrer Vergangenheit und auch mit sich selbst ins Reine zu kommen? Mein Eindruck: -------------- "Kurz hatte Silvia den Impuls, Hannah zu schnappen und sie Evelyn in die Arme zu legen. So wie an ihrem ersten Tag zu Hause in Ildingen. Wie eine Wärmflasche, aber für den Gefühlshaushalt. Vielleicht würde dieser Eisberg ja doch ein bisschen antauen. Vielleicht würde dann ja doch etwas ins Rutschen geraten. Es wäre allerhöchste Zeit." Die Geschichte beginnt in der Zeit kurz vor dem Mauerfall 1989, die Aufbruchstimmung ist spürbar. Die Handlung wird dabei abwechselnd von der Zeitebene erzählt, in der Evelyn ihren Mann kennenlernt und eine Familie gründet (1950er-Jahre) und der, in der Silvia wieder auf ihre Mutter trifft. Die Perspektiven wechseln hauptsächlich zwischen Silvia und Evelyn, aber auch andere Perspektiven wie die von Silvias Tante Betti, Silvias Vater und einigen Nebenfiguren werden eingestreut. Die Erzählstränge der unterschiedlichen Zeitebenen sind so gestaltet, dass permanent Spannung aufgebaut wird. Spätestens ab dem ersten Drittel konnte ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen. Es gab so viele Geheimnisse, die nach und nach aufgedeckt wurden und die vielen Fäden fügten sich am Ende auf überraschende Weise schlüssig zusammen, dass das Buch von Anfang bis Ende eine Sogwirkung auf mich ausübte. "Als Silvia später wieder in ihrem alten Kinderzimmer auf dem Bett saß und ihre schlafende Tochter betrachtete, fasste sie einen Entschluss. Wenn sie das nächste Mal Frau Hagerle besuchen würde, wollte sie Hannah mitnehmen. Und auch wenn sie noch nicht wirklich wusste, was für ein Leben sie sich für sich und ihre Tochter vorstellte, war sie doch wild entschlossen, ihr Kind nicht in Sprachlosigkeit und Stille aufwachsen zu lassen. Hannah sollte sich niemals zur Nachbarin flüchten müssen, um ein bisschen Chaos und Lebendigkeit und Wärme zu erleben." Mir gefiel der Sprachstil sehr gut. Die Autorin verwendet treffende Worte, um die Sprachlosigkeit in der Familie, die unausgesprochenen Erwartungen und die Konsequenzen der betroffenen Personen zu beschreiben. Besonders das Leben nach dem Zweiten Weltkrieg wird gut eingefangen: Traumata der Kriegsrückkehrer, der Zwiespalt der Frau, einerseits Hausfrau und Mutter sein zu müssen, gleichzeitig aber durch Berufstätigkeit nach mehr Anerkennung und Karriere zu streben oder lieber ohne Mann das Glück zu versuchen. Auf dem Land deutlich schwieriger als in der Stadt, da hier gilt, das man von den Nachbarn stets beobachtet und be- oder gar verurteilt wird. Das mag an mancher Stelle klischeehaft scheinen, aber ich denke, dass es tatsächlich häufig so der Tatsache entsprach. Durch Zufall habe ich durch die Leseprobe am Ende des Buches entdeckt, dass dies der 2. Teil der Borowski-Familienerzählung ist, also der Nachfolger von "Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid". Diesen kenne ich noch nicht, aber nachdem ich die Geschichte um Silvia und ihre Mutter verschlungen habe, werde ich mit Sicherheit auch die von Hannah, ihrer Großmutter und deren Mutter in Erfahrung bringen wollen. Die Reihenfolge ist dabei sicherlich egal, denn es stehen unterschiedliche Beziehungsebenen in den Romanen im Fokus. Fazit: -------------- Fesselnd erzählte Geschichte über unausgesprochenen Erwartungen, Sehnsüchte und die Neufindung einer Mutter-Tochter-Beziehung