letterrausch
Als ich letztes Jahr Colson Whiteheads „Harlem Shuffle“ las, war mir nicht bewusst, dass der Roman Auftakt zu einer Trilogie um den New Yorker Halbganoven Ray Carney sein sollte. Die Geschichte steht für sich, endet rund und hätte – für mein Verständnis – nicht zwingend einer Fortsetzung bedurft. Doch Whitehead will offenbar nicht nur die 60er Jahre des letzten Jahrhunderts beleuchten, sondern ein größeres Panorama aufmachen, denn im neuen Roman „Die Regeln des Spiels“ befinden wir uns nun in den 70ern. Ray Carney hat die kriminellen Machenschaften aufgegeben – behauptet er zumindest. Er gibt sich auch redliche Mühe, sich als aufrechter Bürger durchzuschlagen. Sein Möbelgeschäft floriert, er ist Mitglied eines Clubs, seine Frau unterstützt einen Bürgermeisterkandidaten. So bieder, so normal. Doch dann verspricht er etwas voreilig seiner Tochter Tickets für das Jackson Five Konzert in New York. Dass man seine Versprechen gegenüber einem Teenager besser halten sollte, weiß auch Carney. Und als es sich als zunehmend schwierig herausstellt, an die Karten zu kommen, hat er keine andere Wahl, als sich auf Kontakte zu besinnen, die eher halbseiden sind. Und prompt findet er sich unverhofft in einer Gaunergeschichte wieder, die nicht einer gewissen Komik entbehrt. Als diese Queste überstanden ist (es sei hier natürlich nicht verraten, ob er schlussendlich die Konzerttickets in den Händen hält), stellt man als Leser fest, dass sich der Roman aus drei lose zusammenhängenden Geschichten zusammensetzt, die sich mal mehr, aber meistens weniger um Carney drehen. Zunehmend geht es auch um seinen Kumpel Pepper, den Dreh eines Black Exploitation Films und heißen Abriss in Harlem. Whitehead öffnet seinen Roman also für weitere Charaktere und Handlungsstränge, was einem Buch, das ohnehin schon mit unübersichtlichem Personal daherkommt, nicht unbedingt gut tut. Schon „Harlem Shuffle“ lebte von den vielen bunten Charakteren, den Kleinkriminellen, Dieben, Ganoven und anderen Bewohnern der Halbwelt, denen Whitehead hier ein schillerndes Denkmal setzt. In „Die Regeln des Spiels“ legt er es nun wirklich darauf an, dass man als Leser völlig den Überblick verliert, da der Fokuspunkt Ray Carney eben nun kein Fokus mehr ist. Stattdessen schwimmt man in einem schier endlosen Meer aus Namen, Beziehungen und korrupten Machenschaften, denen man (eventuell?) nur folgen kann, wenn man sich mit korrupten Machenschaften hautnah auskennt. Mich jedenfalls haben die vielen Handlungsstränge, die endlosen Abzweigungen und die unzähligen Nebenschauplätze ermüdet und teilweise überfordert. Kein Vergleich zu dem schillernden, aber eben doch wohl dosierten „Harlem Shuffle“. Klar, die Hauptattraktion von „Die Regeln des Spiels“ ist New York selbst, das wird ziemlich schnell klar. Mit leichter Feder malt er ein Bild dieser Stadt zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte. Das macht Whitehead so souverän, dass die enorme Rechercheleistung, die hinter „Die Regeln des Spiels“ stecken muss, eigentlich nicht auffällt. Alles fühlt sich natürlich, homogen und eben nicht „ausgedacht“ an. Leider führt es aber dazu, dass der ausufernde Plot hinter dem fanastisch ausgearbeiteten Setting zurücksteht. Dieses Ungleichgewicht tut dem Roman nicht gut. Das Lesevergnügen schmälert es ohnehin. „Die Regeln des Spiels“ ist weniger ein klassischer Roman mit stringentem Plot, sondern vielmehr drei lose verbundende Novellen, die in der Welt von „Harlem Shuffle“ angesiedelt sind. Die Novität des Erstlings kann die Fortsetzung nicht mehr erreichen. Die vielen Charaktere, ihre Hintergründe und Biographien führen zu oft vom Hauptgeschehen in die Irre und machen den Plot unnötig träge. Trotzdem: Jetzt will ich doch wissen, was Whitehead im dritten Teil der Trilogie noch präsentieren möchte. Die 80er Jahre in New York? Sicherlich waren die genauso wild wie die 60er und 70er. Das lasse ich mir trotz der Längen von „Die Regeln des Spiels“ nicht entgehen.