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Tildas Weg „22 Bahnen“ von Caroline Wahl ist eine richtig schöne Liebesgeschichte, die mich etwas an „Nordstadt“ von Annika Büsing erinnert hat. Aber das Buch ist nicht nur eine Liebesgeschichte, genauso ist es eine Familiengeschichte, eine Geschichte über Traumata und eine Coming of Age Story. Die ganzen Thematiken sind vollkommen gelungen ineinander verwoben und in einer schönen einfachen Sprache verfasst. Das Buch liest sich ganz schnell weg, man ist in seiner Geschichte gefangen. Ein Buch, welches tief berührt, ohne auf die Tränendrüse zu drücken wohlgemerkt. Ein Buch, welches richtig gut gefällt! Was bei mir neben der berührenden und spannenden Geschichte auch am Hauptcharakter Tilda lag, die mit einer immensen Stärke ihrem Leben begegnet und eigentlich der Dreh- und Angelpunkt in der Familie ist, den Elternpart fast vollkommen für Mutter und Schwester übernimmt. Jeder, der meine Rezis und damit auch meine Sichtweisen ein Stück weit kennt, wird wissen, dass mir schon diese Darstellung von Tilda sehr gefallen hat. Denn starke Frauenrollen liebe ich einfach. Wobei der Charakter Tilda hier gar nicht anders reagieren kann, wenn die Familie bei der betreffenden Person eine Rolle spielt. Dennoch zeigt dies ja auch eine gewisse Gesellschaftskritik auf. Denn warum ist der Charakter Tilda dazu gezwungen. Dass ärgert mich etwas. Allerdings fällt mir auch keine völlig adäquate Lösung ein. Denn ein Übersiedeln der Kinder in ein Kinderheim wäre sicher auch keine besonders tolle Möglichkeit. Man ist zwar vor der Gefahr der instabilen Persönlichkeit der Mutter weg, hat aber dafür mit vielen anderen instabilen Persönlichkeiten zu tun, die Bindungen innerhalb der Familie sind dann aufgelöst, auch das wäre ein weiteres Trauma, an dem die Betroffenen weiter arbeiten müssen, mit dem die Betroffenen leben müssen. Denn dieses legendäre „Es muss verarbeitet werden“ stößt bei mir etwas auf eine Skepsis. Ein Trauma kann man nicht ungeschehen machen, man muss damit leben, es sollte bloß irgendwann nicht mehr so weh tun, man sollte es akzeptieren und abschließen können und die eigene Schuldfrage dazu auch abhaken können. Denn Schuld ist man bei Taten, die man selbst durchführt, an Taten, die Andere an einem ausüben, trägt man keine Schuld, sondern nur die in der Aktion stehende Person. Und so agiert hier die Figur Tilda und schwimmt ihre 22 Bahnen in der Schwimmhalle und in ihrem Leben. Chapeau für Tilda! Und ein Danke für diese inspirierende Geschichte an Caroline Wahl. Ein wunderbares Buch, welches trotz der Schwere des Themas durchaus als Sommerbuch in meinen Augen durchgehen kann, auch wenn dieser momentan fast durch ist.