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gwyn

Posted on 10.10.2023

Lebensfahrt Ein Lachen und Singen! Es blitzen und gaukeln Die Sonnenlichter. Die Wellen schaukeln Den lustigen Kahn. Ich saß darin Mit lieben Freunden und leichtem Sinn. Der Kahn zerbrach in eitel Trümmer, Die Freunde waren schlechte Schwimmer, Sie gingen unter, im Vaterland; Mich warf der Sturm an den Seinestrand. Ich hab ein neues Schiff bestiegen, Mit neuen Genossen; es wogen und wiegen Die fremden Fluten mich hin und her – Wie fern die Heimat! mein Herz wie schwer! Und das ist wieder ein Singen und Lachen – Es pfeift der Wind, die Planken krachen – Am Himmel erlischt der letzte Stern – Wie schwer mein Herz! die Heimat wie fern! (Heinrich Heine) Dies Gedicht ist der Auftakt der Grafic Novel, eine Biografie, die mit einem eindrucksvollen Bild von Heines «Matratzengruft» beginnt, Paris 1848 – die er nach langer Krankheit erst 1856 mit dem Tod verlassen wird. Eine Taube sitzt auf dem Fenstersims, schaut auf ihn, auf den Lebensrückblick. Aber dann von vorn: Wie wurde aus dem kleinen Hery, im geistig freien Düsseldorf geboren, der große Heinrich Heine – Dichter der Liebe und der Revolution? Eine biografische Reise durch sein Leben, erzählt abwechselnd durch einen Chronisten und ihm selbst, hinterlegt mit Grafiken und bereichert mit Heines Gedichten. Als Sohn des jüdischen Ehepaars Samson und Betty Heine kommt Hery 1797 zur Welt (der erst nach seiner protestantischen Taufe Heinrich heißen wird). Schon auf der Gasse und in der Schule hat der Junge viel auszuhalten, weil er ein Jude ist. 1806 wird das Heilige Römische Reich deutscher Nation von Napoleon aufgelöst und Düsseldorf zur Hauptstadt des napoleonischen Großherzogtums Berg ernannt; und der «Code Civil» wird eingeführt, der den französischen Freigeist und die Werte der Französchen Revolution von Gleichheit und Freiheit beinhaltet. Leibeigenschaft und Adel werden abgeschafft. Auch wenn Heine Napoleon später kritisieren wird – er wird ihn gleichzeitig in Ehren halten: «Idee gewordene Mensch, der Kründer der Freiheit.», von diesem Gedanken ist Heine überzeugt. Das erste Buch, dass der Junge liest, ist «Don Quixote», wobei er Ironie und Satire kennenlernt, die ihn nie wieder loslassen wird. Harry, so wir er genannt, soll das Geschäft des Vaters übernehmen, und er macht eine Kaufmannslehre in einem Bankhaus, das zum großen Teil dem Onkel gehört. Sein Herz allerdings entflammt für die Poesie, und so veröffentlicht er seine Gedichte unter Pseudonym – auf der einen Seite soll die Familie nichts mitbekommen und auf der anderen will er sich nicht als Jude outen. Die geschäftliche Entwicklung der Familie endet im Desaster, aber der wohlhabende Onkel ermöglicht dem Neffen ein Jurastudium. Bekanntlich schwänzt er hier viele Vorlesungen und nimmt lieber an denen literarischen und philosophischen teil, ist Mitglied der poetischen Studentengruppen. August Wilhelm Schlegel erkennt sein Talent und fördert ihn. «Im traurigen Monat November war´s, die Tage wurden trüber, der Wind riss von den Bäumen das Laub, da reist ich nach Deutschland hinüber.» Die Graphic Novel beschäftigt sich mit dem Hintergrund der «Loreley» und dem Band «Harzreise». Weiter geht es zu «Goethe und Harry», ein Treffen im Weimar, das recht unterkühlt abläuft. Von Weimar berichtet er, das Bier würde dort sehr gut schmecken, Goethe erwähnt er erst gar nicht, nennt ihn später «Aristokratenknecht». Julius Campe, der Verleger aus Hamburg wird sein Freund. «Die Zensur ist ständiger Begleiter der beiden.» Und so wird Heine Meister der Verkleidung der Worte durch Symbole, Metaphern, Allegorien, um die «Kerkermeister» seiner Worte zu umgehen, ihnen eins auszuwischen. Sehr gern setzt er Tiere ein, um Personen zu beschreiben. Hier sein Gesicht zur Zensur: «Die deutschen Censoren —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— Dummköpfe —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— ——» (1827 im Buch Le Grand ) Seinen Lebensweg streifen u.a. die Gebrüder Grimm und Ludwig Börne. Es kommt zu einem Disput mit August Graf von Platen, von dem Heine meint, er hätte versucht mit rassistischen Begründungen die Professur von Heine in München zu verhindern – ein Thema in diesem Buch. Heine liebt das Meer, auch hierzu gibt es einige Beispiele. Heine, im Herzen Revolutionär, der sich ungern seine Worte verbieten lässt, der als Jude in Deutschland immer wieder für seine Herkunft angefeindet wird, reist 1831 nach Paris, schnuppert Freiheitsluft und bleibt. Hier lernt er viele kluge Köpfe kennen wie z.B. Dumas Hugo, Balzac und auch Börne, der andere jüdische Oppositionelle. «Man verlangt von mir politischen Parteigeist – ich war noch keine 24 Stunden in Paris, als ich schon mitten unter den Saint-Simonisten saß.» Heine ist und bleibt Poet und Schriftsteller, kein Parteimensch und kämpfender Revolutionär, was ihm Börne vorwirft. Er schreibt für diverse deutsche Zeitungen, versucht die deutsch-französische Seele wieder zusammenzubringen. Und so kommt es zum Eklat der beiden. Heine über Börne: «Ich bin eine gewöhnliche Guillotine, und Börne ist eine Dampfguillotine.» Aber natürlich schlägt Heines Herz auf der Seite der Freiheit, erwähnt hier seine Beziehung zu Marx, mit dem er enge Freundschaft hielt, und mit dem Kommunismus sympathisiert, als Beispiel «Die schlesischen Weber». Der «dreifache Fluch» in diesem Gedicht bezieht sich auf den Schlachtruf der Preußen von 1813: «Mit Gott für König und Vaterland!» «Im düstern Auge keine Thräne, Sie sitzen am Webstuhl und fletschen die Zähne; Deutschland, wir weben dein Leichentuch. Wir weben hinein den dreyfachen Fluch – Wir weben, wir weben!» (Die schlesischen Weber) Sehr gut gefällt mir an dieser Biografie, dass sich die Autoren bekannte Persönlichkeiten aus Heines Leben herausnehmen und seine Beziehung, bzw. Auseinandersetzung mit ihm erörtern. Die Ehe mit Mathilde wird gut beschrieben. Nach 11 Jahren kehrt Heine erstmals zurück in die Heimat. «Deutschland ein Wintermärchen» erscheint, eine Abrechnung mit den staatlichen, kirchlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen in Deutschland. Es kommt zur Beschlagnahme des Buchs und zum Verbot. Heine wird per Haftbefehl gesucht. 1848 erleidet er in Paris einen Zusammenbruch, er ist fast vollständig gelähmt – Vorerkrankungen und Schübe hatte es mehrfach gegeben. Heine selbst diagnostiziert Syphilis. Mediziner heute bezweifeln das, da er bis zuletzt klar im Kopf war. Man vermutet eine komplexe tuberkulöse Erkrankung wenn nicht sogar Multiple Sklerose. Nach einer Haaranalyse wurde auch eine chronische Bleivergiftung festgestellt. Acht Jahre festgehalten in der «Matratzengruft» schreibt Heine weitere Bücher und Artikel. Das Lazarus-Gedicht am Ende des Buchs könnte nicht besser ausgewählt sein, um Heines Schaffensperiode einen krönenden Abschluss zu geben. Vorwort zu «Deutschland. Ein Wintermärchen»: «Pflanzt die schwarzrotgoldne Fahne auf die Höhe des deutschen Gedankens, macht sie zur Standarte des freien Menschtums, und ich will mein bestes Herzblut für sie hingeben. Beruhigt euch, ich liebe das Vaterland ebensosehr wie ihr.» Gaby von Borstel verwendet viel Text von Heine selbst, denn glücklicherweise hat er viel niedergeschrieben zum Zeitgeschehen, zu sich selbst, regen Briefverkehr gehalten. Eine Biografie mit Erzähltext von Heine, Stationen, Hintergründe, aus seinem Leben, wichtige Begegnungen mit Persönlichkeiten, die in seinem Leben etwas veränderten; dazwischen seine Gedichte. Wie kein anderer Schriftsteller zuvor setzt Heine sich für die Freiheitsrechte des Menschen und auf der anderen Seite war er der Poet und gnadenlose Romantiker. Scharfsichtig, scharfzüngig und mit viel Humor betrachtete er seine Welt als Journalist und Dichter. Die Bilderwelt von Peter Eickmeyer, die diesen Text begleitet, ist beeindruckend. Die Grafiken tragen den Sound von Heine und seiner Zeit. Impressionistisch und im Jugendstil in intensive Gouache-Bildern, mit Zeichenstift, Acrylbilder, sowie digital aufgearbeitete Illustrationen machen das Ganze zum Augenschmaus. Zart wie Aquarelle, aber mit der Intensität des Gouache mag man darin versinken. Ganzseitige Illustrationen, kleine Ausschnitte und viele Porträts bereichern den Band. Das ist kein Comic, auch schwer als Graphic Novel zu bezeichnen – letztendlich eine künstlerisch gestaltete Biografie. «Ich hab in meinen Jugendtagen / Wohl auf dem Haupt einen Kranz getragen …» (aus dem Romanzero). So wird Heines Kopf auf dem Cover mit einem üppigen Blütenschmuck bestückt. Künstlerisch und inhaltlich ist die Biografie anspruchsvoll gestaltet und ein Leckerbissen für jeden Heine-Fan.

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