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gwyn

Posted on 9.10.2023

«Das Judentum hat einfach für alles Gesetze, angefangen, wie du deine Tiere schlachtest, über wie man Fernsehen schaut, ohne den Schabbos (so heißt unser Schabbat, unser Ruhetag, auf Jiddisch) zu brechen, bis hin zu wann und wie lange du an Fastentagen (wovon es viele gibt) nichts essen darfst. Aber der Trick ist, dass du diese Gesetze nur befolgen musst, wenn du davon weißt.» Hoodie Rosen lebt in einer streng jüdisch-orthodoxen Gemeinschaft in der US-amerikanischen Kleinstadt Tregaron. Sie waren vor nicht langer Zeit in diesen Ort gezogen, um ein Hochhaus zu bauen, damit eine Reihe weiterer Familien zuziehen können, und sich hier eine große Gemeinde niederlassen kann. Doch die Bürgermeisterin hatte ihnen keine Baugenehmigung erteilt. Der Alltag von Hoodie ist unspektakulär: Seinen Lehrern Paroli bieten, das Chipssortiment des koscheren Supermarkts durchtesten, Wurfgeschossen seiner Schwestern ausweichen. Doch dann lernt er Anna-Marie kennen und sie entfernen gemeinsam Hakenkreuze von einem jüdischen Grab. Die beiden sind stolz. Doch für Hoodies Familie und die Gemeinde hat er Verrat geübt. Die Schmierereien hätten dran bleiben müssen als Beweis für den Hass der anderen. Das Schlimmste: Er hat sich mit einer Schickse (nichtjüdisches Mädchen) abgegeben, noch dazu die Tochter der Bürgermeisterin. Noch viel schlimmer für Hoodie selbst, er hat sich verliebt, hält trotz Verbot weiter Kontakt mit Anna-Marie. Plötzlich wird Hoodies heimelige Welt sehr ungemütlich. Wo will er stehen? «Ich verstand, was er sagte: «Meine Freundschaft mit Anna-Marie, dem Feind, würde mich von der Tora abbringen, und ich könnte Antisemitismus nicht mit einer Nichtjüdin bekämpfen. Aber genau das hatte ich getan, als wir die Farbe entfernt hatten.» Eine feinfühlig, humorige Geschichte über Geborgenheit und Eingeengtsein, über religiösen Fanatismus, Doppelmoral und unverhoffte Freundschaft. «Du hast dir meine Familie vielleicht im Geiste vorgestellt. Wenn du dich an stark übertriebenen orthodoxen Stereotypen orientierst, dann liegst du goldrichtig.» Isaac Blum gibt uns Einblick in das streng orthodoxe Judentum, eine Gruppe innerhalb der Religion, die sehr isoliert leben. Hoodie ist den ganzen Tag über in der Schule; am Vormittag wird die Tora gelehrt und und am Nachmittag Weltliches. Mathe ist nicht sein Ding – aber das ist nicht so schlimm, eher dass er auch Probleme mit der Gemara (die zweite Schicht des Talmud) hat. Religion steht im Vordergrund. Hoodie besitzt sogar ein Handy, was man ungern sieht. Darum ist es so ein altes Ding, mit dem man lediglich telefonieren kann, SMS senden. Computer und Internet sind verboten. Seine große Schwester ist gut im Tricksen; sie hat einen Laptop mit Internetanschluss – weil das fürs Studium schlicht Pflicht ist, sagt sie. Anna-Marie tritt in eine für sie unbekannte Welt ein und ebenso Hoodie in ihre. Sehr lustig ist die Szene, in der Anna-Maries Mutter Hoodie ein Sandwich machen will mit Schinken und Brot – ganz koscher. Ihre Tochter ihr erklärt, allein weil sie es angefasst hat, sie sich in einem nichtjüdischen Haus befinden, ist es nicht koscher. «Es ist unrein, nur weil ich es anfasse?» Hoodie darf ihr auch nicht mal die Hand zur Begrüßung reichen; denn Frauen sind unrein; und Nichtjuden sowieso. Das Haus Anna-Marie, ihre lockere Art sich zu kleiden fasziniert Hoodie. Ihr Hobby ist Tanzen, doch um das zu sehen, muss er Regeln brechen. Neugierig auf Instagram, Facebook usw. benutzt Hoodie heimlich den Laptop seiner Schwester. «Genau wie Moritz sprach Rabbi Friedmann über ‹meine Situation?, als wäre ich an einer Krankheit, einem ansteckenden Infekt erkrankt, den sich meine Klassenkameraden einfangen könnten, wenn sie mit mir im selben Raum waren. Kam ich mit dem Rest der Bevölkerung in Kontakt, könnten wir uns womöglich eine Epidemie einhandeln. Wir alle würden nur noch in Shorts und Tanktops über das Schulgelände wandeln und mit Schicksas in Bikinis im Arm unzüchtige Popmusik von unseren neuen Smartphones abspielen.» Die Ausgrenzung aus der eigenen Gemeinde macht Hoodie klar, wie vielen Zwängen diese Religionsgemeinschaft ausgesetzt ist. Die Gemeinschaft gibt ihm Geborgenheit und Sicherheit; aber sie kann dir auch ins Kreuz treten. Ist es richtig, sich derart abzuschotten? «Du musst die unser orthodoxes System wie von Mauern umgeben vorstellen. … Aber hast du die Mauern erst einmal verlassen, dann hängst du draußen fest und kannst nie wieder hinein.» Ist es richtig, alle Andersdenkenden rundum als Feinde zu bezeichnen?, fragt sich Hoodie, der sich für Versöhnung einsetzt. Themen rund um Antisemitismus, Gewalt, Identität, Ideologie, religiösen Fanatismus mit typisch jiddischem Humor untermalt. Ein Jugendroman, ein coming-of-age, das zum Lachen bringt, traurig macht, erschrecken lässt, zum Nachdenken anregt, völlig kitschfrei ist - einfach eine kluge Geschichte mit herrlichen Charakteren. Der Beltz Verlag gibt für diesen Jugendroman eine Altersempfehlung ab 14 Jahren. Da gehe ich mit, Empfehlung! «Auf der Wasserstein-Hochzeit ein Jahr zuvor hatte auch ich getanzt, war dort ganz genauso mit Freunden und der Familie herumgewirbelt. Damals hatte ich mich zugehörig gefühlt, als würde ich genau in diese Gemeinschaft hineinpassen. Aber jetzt fühlte ich mich wie ein Außenstehender, unsicher, wohin ich passte, ob ich überhaupt irgendwohin passte. ‹Passen› war genau das richtige Wort. Denn die ganze Sache war wie eine Jacke, die mir nicht mehr richtig passte. Aber es war gleichzeitig, auch die einzige Jacke, die ich hatte. Darunter war ich nackt. Ich wollte sie nicht wirklich tragen, aber ich konnte sie auch nicht ausziehen, denn was sollte ich stattdessen überstreifen?» Isaac Blum hat Kreatives Schreiben studiert und an verschiedenen Universitäten sowie jüdisch-orthodoxen und öffentlichen Schulen Englisch unterrichtet. “Ruhm und Verbrechen des Hoodie Rosen» ist sein Debütroman. Mit seiner Frau lebt er in Philadelphia, wo er gern Sport schaut und Romane liest, die ihn zum Lachen bringen und ihm gleichzeitig etwas über die Welt erzählen.

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