R. S.
Schwierig Mutter-Tochter-Beziehung, schwieriges Buch Die 60-jährige Johanna kehrt nach dreißig Jahren nach Norwegen zurück, wo sie als Malerin inzwischen so erfolgreich ist, dass ihr in ihrem Heimatland eine Retrospektive gewidmet wird. In jungen Jahren entfloh sie einem Leben, das bereits von ihren Eltern, insbesondere ihrem Vater, vorgezeichnet war, um mit ihrem Kunstlehrer Mark, mit dem sie ihren Sohn John bekam, nach Utah zu ziehen. Das Verhältnis zu ihren Eltern und ihrer Schwester, das nicht gerade idyllisch ist, kühlt sich nach ihrem ersten Werken ab, da sie der Meinung sind, dass es die Familie verunglimpft. Ganz bricht es schließlich dann zusammen, als sie zur Beerdigung ihres Vaters nicht nach Hause zurückkehrt. Zurück in Norwegen versucht sie, ihre Mutter anzurufen, aber sie reagiert nicht auf ihre Anrufe. Also macht sie sich auf die Suche nach ihrem Wohnort, spioniert sie aus, verfolgt sie, um ihre neuen Gewohnheiten zu ergründen. Nach und nach tauchen Erinnerungen an ihre Kindheit auf, vor allem im Zusammenhang mit ihrer Mutter, die sich als scheinbar sorglose Frau dem Familienleben verschrieben hat, aber in Wirklichkeit unglücklich ist. Das Bedürfnis nach einer klärenden Konfrontation zwischen Johanna und ihrer Mutter wird immer dringender, aber die alte Frau will nichts mehr mit ihrer Tochter zu tun haben. Obwohl mir bestimmte Elemente des Romans sowie das Gesamtkonzept gefielen, fiel der Roman insgesamt ein wenig flach aus, besonders das Ende konnte mich nicht überzeugen. Anfangs passiert zunächst nicht viel und der Beginn der Erzählung lässt, für mich an Tempo missen, nach und nach nimmt die Handlung dann aber an Fahrt auf. Johanna, die Ich-Erzählerin, ist als Erzählerin unzuverlässig, was jedoch den Reiz der Geschichte ausmacht. Etwa die Hälfte der Handlung besteht darin, dass die Ich-Erzählerin Hypothesen über ihre entfremdete Beziehung zu ihrer Mutter und ihrer Schwester heraufbeschwört. Die Protagonistin ist einerseits blind gegenüber sich selbst, andererseits intelligent, einfühlsam, aber insgesamt unsympathisch und etwas nervig. Genau diese ambivalenten Gefühle gegenüber Johanna hielten mein Interesse an der Geschichte wach. Johanna ist regelrecht besessen in Bezug auf ihre entfremdete Mutter, was auf eine beklemmende und bedrückende Art und Weise erzählt wird. Kurze Kapitel und Naturschilderungen, die den Gedanken- und Erinnerungsstrom der Erzählerin über ihre Mutter gelegentlich unterbrechen, tragen zu diesem klaustrophobischen Gefühl bei. Bis kurz vor Ende des Romanes, war die Entwicklung des Handlungsverlaufs noch vielversprechend, doch dann kam das antiklimatische Ende. Der Roman zeigt bis dahin auf, dass die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern viel komplexer sind, als es den Anschein hat, und dann löst sich das Ende eines Jahrzehnte alten Konfliktes in einem einzigen Ereignis auf. Der lang ersehnte Höhepunkt verpufft regelrecht und beantwortet keine Frage so richtig, was einen unbefriedigt zurücklässt. Alles in allem ist "Die Wahrheit meiner Mutter" sprachlich und stilistisch ein gut erzählter Roman über eine schwierige Beziehung zwischen Tochter und Mutter, tempomäßig und inhaltlich kann er aber nicht komplett überzeugen, vor allem das Ende ist enttäuschend.