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Fina

Posted on 18.9.2023

Gestaltung: Das Cover schreit förmlich "Ich bin ein Abenteuerroman!". Wir sehen hier vermutlich Melvin, der gerade vor der Kulisse des Palace of Westminster in London läuft. Ich mag das Bild hier sehr gern, da es ziemlich gut dazu passt, wie ich mir unseren Protagonisten vorgestellt habe. Die Rückseite ist ebenfalls dunkel gehalten und zeigt eine nebelige Gasse bei Nacht, in der man lediglich die Silhouetten eines Mannes und einer Pferdekutsche erkennt. So fängt der Umschlag hier die Stimmung des Buches und den Abenteuergeist sehr gut ein. Mir hat es zudem ein Gefühl für das viktorianische Zeitalter gegeben, in dem die Geschichte spielt. Darum geht's: Melvin hatte bisher kein besonders einfaches Leben und schlägt sich allein auf den Straßen Londons durch. Als immer mehr Menschen in seinem Umfeld ermordet werden und die Stimmen laut werden, dass Jack the Ripper sein Unwesen treibt, begibt sich Melvin selbst auf Spurensuche und sieht sich plötzlich mit verschiedenen Parteien konfrontiert, die ihm nicht alle wohlgesonnen sind. Was steckt hinter den Londoner Morden? Idee/ Umsetzung: Erst einmal finde ich die Idee des Buches sehr spannend, als 12-jährige Leseratte hätte mich die Londoner Kulisse und die Mordfälle sicherlich angesprochen, auch wenn ich mit der Zeit um 1888 historisch noch nicht viel anfangen konnte. Die Geschichte beginnt recht schnell, hält sich nicht viel mit Beschreibung und einer Einführung in das Setting auf, sondern ist simpel und klar gehalten. Als Kind hätte ich das sicherlich wunderbar gefunden, aus meiner Erwachsene Brille heraus fehlte mir dadurch ein bisschen der Einstieg und ich hätte sehr gerne mehr von London und der gesamten Atmosphäre der Stadt zu dieser Zeit beschrieben bekommen. Insgesamt hat die Geschichte ein sehr zügiges Erzähltempo, sodass die gesamte Geschichte nur eine Zeitspanne von einigen Tagen umfasst. Das fand ich ganz erfrischend, dass die Ermittlungen hier sehr fokussiert werden und für alle Ungedulgigen nicht Monate voller Spurensuche vergehen. Womit ich nicht ganz so klar kam, waren die sehr abgehackten Kapitel von wenigen Seiten, gekennzeichnet durch Ortswechsel. Das hat zwar für einen gewissen Sog gesorgt, aber auch oft für Verwirrung gefühlt: "Wo und bei wem bin ich jetzt gerade?". Mit der Zeit wurde es etwas besser, aber ich einfach ein Fan von klar gekennzeichneten Kapiteln am Seitenanfang. Schreibstil & Handlung: Was der Autor trotz sparsamer Beschreibungen aber durchaus sehr gut herausstellt, sind die schweren Schicksale und Missstände des 19. Jahrhunderts, in die allein durch Melvins Perspektive Eindrücke gegeben werden. London wird als interessante, aber auch gefährliche Stadt geschildert, in der einem nicht jeder Gutes möchte und das Kämpfen ums Überleben hart sein kann. Ich kann mir gut vorstellen, dass so jüngere Leser*innen ein erstes Gefühl für die damalige Zeit bekommen und vielleicht sogar Lust haben, sich weiter mit der Zeit oder London als Stadt auseinanderzusetzen. Das Abenteuer steht aber natürlich im Vordergrund, sodass wir es mit einer Neuinterpretation von Jack the Rippers Morden zu tun bekommen. Als 12-jährige hätte ich mich bei der Spurensuche und den vielen gruseligen Gestalten sicherlich manchmal unter der Bettdecke vergraben, denn einige Figuren fand ich ganz schön erschreckend, was die Handlung aber sehr spannend machte. Mit dem Fortschreiten der "Ermittlungen" und der Aufklärung der Morde war ich absolut fein und habe gut mitfiebern können. Einige Themen, die der Autor eher am Rande mit einfließen lässt, zum Beispiel Melvins persönliche Geschichte, das Gefühl von Zugehörigkeit und die erste Liebe, bleiben zwar recht blass, bringen der Geschichte aber auch etwas mehr Dimension; für die Zielgruppe des Buches absolut angemessen. Figuren: Die Figuren der Geschichte haben mir gut gefallen, typisch für handlungsbasierte Geschichten sind diese zwar manchmal nur Mittel zum Zweck, sei es eine falsche Fährte zu legen oder uns Informationen zu übermitteln, aber bereichern die Geschichte durch ihre Handlungen und Dialoge. Sehr viel Tiefe und Vielschichtigkeit sucht man vergeblich, was ich bei einem Kinderbuch aber auch nicht erwarte; die meisten sind schlicht "gut" oder "böse" und nehmen Melvin nichts von seiner Heldenreise weg. Ende: Das Ende der Geschichte war für mich durchaus zufriedenstellend, wenn auch nicht bahnbrechend. Ich habe Melvin bei der Auflösung der Morde gerne begleitet und fand es auch okay, dass einige wenige Handlungsstränge nicht bis zum letzten auserzählt wurden, so bleibt einem immer etwas, was man selbst zu Ende spinnen kann. Ich habe inzwischen gesehen, dass der Autor noch mehr Abenteuerromane in anderen Settings geschrieben hat - wenn mir mal wieder danach ist, kann ich mir gut vorstellen, noch einmal zu einem davon zu greifen. Fazit: Mit "Der letzte Rabe des Empire" hat der Autor einen sehr runden, spannenden Kinder-/Jugendroman geschrieben, der besonders die schaurige Atmosphäre des Londons im 19. Jahrhundert transportieren kann. Die Erzählweise war mir wegen der vielen Kapitelsprünge besonders am Anfang etwas wirr, hat aber für eine hohe Dynamik und Sogwirkung gesorgt. Ich kann kleinen Abenteurern ebenso wie neugierigen Erwachsenen die Geschichte als kurzweilige, unkomplizierte Lektüre auf jeden Fall empfehlen.

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