nannisraeuberleben
Shelley Read hat einen Roman geschrieben von rauer Struktur. Vom Kratzen an den eigenen Bedürfnissen, Sehnsüchten, Gefühlen. Von der Wildheit der Natur und der, der Menschen. Von Hass und Liebe und wie nah diese Gefühle zusammen liegen. Victoria ist brav, sittsam, fleißig. Ganz anders als ihr Bruder, der seit dem Tod der Mutter Wut und Boshaftigkeit in sich trägt, übernimmt sie pflichtbewusst alle anfallenden Aufgaben. Im Haus und auf der Pfirischfarm der Familie. Sie spürt die Verbindung zu den Pfirsichbäumen, die schon seit Jahren im Besitz der Familie sind. Die dort sorgsam angezogen, veredelt und behütet werden. Sie weiß darum wie die Natur uns nährt. Doch dann lernt sie eine andere Seite kennen. Eine andere Seite ihrer Heimat, ihrer Familie, der Natur, in der sie aufwuchs, der Menschen, die sie schon immer kennt und besonders eine andere Seite an sich selbst. Wil tritt in ihr Leben. Der hilfsbereite Junge mit dem schiefen Lächeln, der wegen seiner Hautfarbe verfolgt und geächtet wird. Sie erlebt die schönste und intensivste Zeit ihres Lebens, die jäh von einem Unglück unterbrochen wird. Victoria flieht in die Berge, wo sie Schutz findet und sich gleichzeitig mit der rauen Unsicherheit der Natur, des Wetters, der Jahreszeiten auseinandersetzen muss. Victorias Verbindung zur Natur hat mir besonders gut gefallen. Read romantisiert diese nicht, sondern zeigt woher sie kommt: durch Respekt und Empathie, Dankbarkeit und Fürsorge. Es gelingt ihr eine Atmosphäre zu erschaffen und eine Protagonistin, die so sehr das ist was sie lebt, dass sich bei mir ein Gefühl entwickelt, dass sich nur in der Natur einstellt: Ehrfurcht. Bewegende, stärkende Ehrfurcht. Victoria stellt sich dem Sturm entgegen. Sie bleibt nicht unversehrt, aber sie gewinnt an Resilienz. In meinen Gedanken ist sie keine große, Furcht einflößende Person, aber eine widerspenstige, widerständige Frau, die ihren Weg mit all seinen Höhen und Tiefen geht. Nicht aufgibt, obwohl die Täler zu überwiegen scheinen. Das ist nur ein Teil der Geschichte. Es gibt noch einen zweiten Handlungsstrang über den ich nicht sprechen möchte. Den Leser*innen selbst entdecken sollen und der so anrührend ist, dass es mir mehrfach die Tränen in die Augen trieb. Es ist eine Geschichte der Natur, aber auch eine der Menschheit. Eine von Mut und davon, dass es immer mehrere Wege gibt. Darüber, dass wir uns zurückbesinnen, dass wir eins sind, mit dem Kreislauf der Natur, des Lebens und dass wir nur klar kommen, wenn wir dem ursprünglichen respektvoll begegnen. Es ist ein Roman, der atmosphärisch so großartig ist, so sehr zu fühlen ohne greifbar zu sein. Wut und Sturm, Liebe und Sonne, Berg und Hoffnung - alles wird eins. Eine Atmosphäre, wie sie uns nur selten begegnet. Große Empfehlung für alle und besonders für diejenigen, die "Der Gesang der Flusskrebse" von Delia Owens oder "River" von Donna Milner mochten