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Wo ist Heimat, wenn man keine mehr hat? Zwei Brüder reisen mit ihren Eltern in deren Heimat, die sie im Jahr 1946 verlassen mussten: Schlesien. Aus Sicht des Autors, der sowohl als neutraler Erzähler als auch aktiv als Ich-Erzähler agiert, wird man mitgenommen in einem engen, gelben VW-Beetle auf einen besonderen Roadtrip. Ich kam schnell und fließend in die Geschichte rein. Die Brüder "kabbeln" sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit, und die Eltern sind erstmal eher ruhig, versonnen und zweifeln am Unternehmen. Beginnend dann in Breslau öffnet sich jedoch der Vater ganz langsam, je näher man seinem alten Heimatort Schwammelwitz kommt. Die Emotionen lassen nicht auf sich warten, und auch bei der Mutter, die bisher alles verdrängt hatte, bröckelt stückchenweise die Mauer des Schweigens je näher sie Neisse kommen ("Gab es viele Nazis in Eurem Ort?", fragte ich meine Mutter. "In Neuwalde nicht, aber die wenigen haben uns gereicht, Angstmachen war ihr Prinzip, bei jeder Gelegenheit fingen sie an, Fragen zu stellen.... "...."Die russischen Plünderungskommandos hatten alles mitgenommen, sogar die Wäsche von der Leine..." ) Aus dem Inhalt möchte ich aber gar nicht viel mehr verraten. Mich hat das Buch sehr berührt. Mit dem was geschrieben wurde, aber auch mit dem, was ich zwischen den Zeilen meinte zu erlesen. Ich sah soviel Gleiches aus meiner Familie: Mein Opa war schon in russischer Kriegsgefangenschaft, als meine Omi mit 5 Kindern aus Schlesien vertrieben wurde. Das jüngste Kind war Baujahr 1936 und meine Mutter. Und so, wie die Mutter von Markus Mittmann alles verdrängt hatte, habe ich auch selten was von meiner Omi gehört. Aber für immer blieb die Devise: nur nicht auffallen. Später erfuhr ich, dass sie alle über Umwege sich nach Salzburg durchgeschlagen haben -größtenteils zu Fuß-, obwohl sie einmal von den Russen ihrer letzten Habe beraubt, aber nicht erschossen wurden. Und der Rotkreuz-Konvoi, in dem meine Omi intuitiv nicht mitfahren wollte, in der Tschechoslowakei beschossen wurde, ohne dass es Überlebende gab. In die alte Heimat kamen sie nie mehr zurück, der eiserne Vorhang hat sie leider überlebt. Aber ich möchte diese Reise für sie noch antreten. Auch, wenn ich kaum was weiß von Schlesien. Wobei wir wieder beim Buch wären, das mich so berührt und gefesselt hat, wo ich einige Reaktionen der Eltern auch 1:1 bei meinen Großeltern wiederfand. Für mich war es daher erst recht eine sehr persönliche Reise. Vieles verstehe ich heute besser: u.a. was es überhaupt bedeutet eine "Heimat" zu haben oder warum traditionelle Gerichte einen so hohen Stellenwert haben können (jede Weihnachten gabs bei uns auf Wunsch vom Opa 'Schlesisches Himmelreich', und ich als Kind fands nur furchtbar... ), denn wenn man gar nichts mehr hat - die alten Rezepte bleiben im Kopf und sind wie ein kleiner Katalysator für Erinnerungen. Nur für die Guten, die andern sind ja verdrängt... Ich empfehle das Buch uneingeschränkt mit 5/5 Sternen [Rezensionsexemplar /Dank lovelybooks]