Profilbild von Buchdoktor

Buchdoktor

Posted on 13.8.2023

Als Idas Mann Louis überraschend stirbt, muss sie Hals über Kopf in einem Pflegeheim untergebracht werden, da ihr Mann sie zuvor betreut hat. Von einem Tag auf den anderen entscheiden in einer fremden Umgebung andere Menschen, wann die 81-Jährige schlafen, essen oder gewaschen werden soll. Ihr Sohn kümmert sich um Notwendiges, zeigt jedoch wenig Verständnis für Idas eigenes Tempo des Abschiednehmens. Ida/Frieda will endlich Otto suchen, den Mann, von dem sie Anfang der 60er schwanger war und der Einzige, von dem sie endlich erfahren würde, was damals mit ihrem Kind geschah. In Rückblenden führt Ida durch ihr Leben, in dem sie sich als 20jährige Berufstätige längst zu alt fühlte, um bei ihren Eltern zu leben und sich nach deren Wünschen zu richten. Als sie sich auf dem Eis des gefrorenen Flusses Waal in den erheblich älteren Otto verliebt, wird sie trotz verdruckster Versuche der Empfängnisverhütung ungeplant schwanger. Als Idas Schwangerschaft nicht mehr zu übersehen ist, werfen ihre Eltern sie raus. Bereits vor der Geburt verliert Ida Wohnung, Arbeit und Familie. Durch die Umstände der Geburt wird sie weiter traumatisiert. Otto kümmert sich bis zur Geburt um sie – und verschwindet. Für einen älteren verheirateten Mann ein Armutszeugnis. Bis heute hat Ida mit niemandem über ihre erste Schwangerschaft gesprochen, nicht einmal mit ihrer Schwester. Im Wechsel zwischen der Suche nach Otto in der Gegenwart und Idas Erinnerungen entsteht das Bild einer bigotten Gesellschaft, in der Frauen vom Wissen über Empfängnisverhütung ferngehalten wurden. Die katholische Kirche spielte eine wenig rühmliche Rolle im Umgang mit „gefallen Mädchen“ und den betroffenen Kindern. Bis in die 70er Jahre trugen auch in Deutschland ledige Schwangere häufig finanzielle Not und gesellschaftliche Ächtung allein, während die Väter der Kinder ihr Leben weiterführten. Jaap Robben skizziert mit großer Empathie Idas Situation im Pflegeheim und verdichtet in dieser Figur Erlebnisse um ungeplante Schwangerschaften, die sich – in Deutschland – alle durch Zeitzeuginnen-Berichte belegen lassen. „Kontur eines Lebens“ erzählt nicht allein eine Liebesgeschichte und über Spätfolgen von Traumata, sondern ist zugleich sorgfältig recherchierte Sozialgeschichte der 60er Jahre.

zurück nach oben