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miss_mesmerized

Posted on 6.8.2023

Im Jahr 1912 wird Edwin, nachdem er einen Eklat beim Abendessen verursacht hat, ins kanadische Exil geschickt, wo er nach Wochen der Untätigkeit in einem tiefen Wald eine seltsame Erscheinung und eine unvergessliche Begegnung mit einem Priester hat. Im Jahr 2020 wird Mirella an ein traumatisches Ereignis aus ihrer Kindheit erinnert, bei dem ein mysteriöser Mann eine Rolle spielte. Auch der Autorin Olive begegnet im Jahr 2203 ein Fremder bei ihrer Lesereise, der nicht nur heißt wie eine ihrer Figuren, er empfiehlt ihr eindringlich so schnell wie möglich in ihre Heimat auf einer galaktischen Kolonie zurückzukehren. Noch zwei Jahrhunderte später versucht Gaspery-Jacques einen Riss im Raum-Zeit-Kontinuum zu klären. Wie auch schon in „Station Eleven“ schafft Emily St. John Mandel eine eigene Welt, die der Realität gar nicht so fremd ist und doch nach eigenen Regeln funktioniert. Die Zeitsprünge sind zunächst irritierend, bald schon erschließt sich jedoch der Verbindung, ihre eigentliche Ursache wird jedoch erst am Ende aufgelöst. „Das Meer der endlosen Ruhe“ greift die Pandemie auf, die die fiktive Autorin Olive in ihrem Roman beschrieben hat, genau wie die Autorin selbst auch, weit vor der Zeit, nicht ahnend, welche Folgen ein solches Ereignis wirklich haben wird. Der Roman überzeugt vor allem durch den cleveren Aufbau der Verknüpfung der verschiedenen Handlungsstränge. Streng genommen muss man die Geschichte wohl zum Genre der Science-Fiction rechnen, interessanterweise erscheinen die technischen Möglichkeiten – allein die Existenz von Kolonien auf fremden Planeten! – gar nicht so futuristisch und fremd, sondern ganz im Gegenteil nimmt man sie als gegeben und natürlich hin, ganz als wären sie auch Teil unserer Realität. Das macht die Handlung sehr zugänglich und wird durch einen poetischen Sprachstil passend kontrastiert. Das geheime Zeitinstitut bleibt lange mysteriös, auch was es mit der Anomalie zu tun hat, wirft mehr Fragen auf, als dass man sich einer Erklärung nähern würde. Die Möglichkeiten des Zeitreisens werden jedoch scheinbar außer für Korrekturen nicht genutzt, aber es eröffnen sich auch andere Möglichkeiten, den vorgesehenen Plan ein Schnippchen zu schlagen wie Olive demonstriert. Vielleicht muss man gar nicht darüber betrübt sein, wenn in der Vergangenheit etwas nicht wie erhofft eintraf, sondern einfach nur aktiver die Zukunft gestalten. Die Parallelen zur Autorin, das Aufgreifen von Figuren und Handlungen ihrer früheren Romane und den Ereignissen der Covid19 Pandemie sind sicherlich nicht zufällig, eröffnen dem Leser aber Reflexions- und Resonanzräume, die weit über die Handlung hinaus führen und auch bei einer Lesepause und nach dem Ende noch Raum für Gedanken lassen, denen man gerne nachhängt. Ein Roman, der mich schnell packte und restlos überzeugen konnte.

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