Yvonne Franke
Anna Sanner hat Japanologie in Schottland studiert und Japanisch Dolmetschen und Übersetzen in England. Ihre Begeisterung für das Land erstreckt sich seit langer Zeit in alle Lebensbereiche, nicht nur in Bezug auf das Erlernen der Sprache. Auch die japanische Kampfkunst fasziniert sie – Sanner hat den Schwarzgurt in Karate. Nach dem Studium war es für sie der nächste logische Schritt Japan, seine Kultur und seine Menschen aus der unmittelbaren Erfahrung kennenzulernen – und nicht als Gast. Sie zog nach Osaka und arbeitete dort zunächst als Englischlehrerin. Bis zu diesem schicksalshaften Tag, an dem sie mit zwei Freunden ins zwei Stunden westlich von Osaka gelegene Iga fuhr. Dort hatte sich zwischen 1477 und 1573 ein altes Ninja-Geschlecht angesiedelt. Heute gibt es in Iga eine Ninja-Schule, die für ein aus allen Enden der Welt anreisendes Publikum Shows inszeniert und Ninja-Mythen erläutert. Für Anna Sanner aber bleibt es nicht bei der Rolle der Zuschauerin, sie bewirbt sich für eine Ausbildung als Show-Ninja und aus Begeisterung für ihre Sprachgewandtheit und ihre bereits glänzende Übung in den Kampfkünsten wird sie tatsächlich akzeptiert. Für eine weiße Frau eigentlich nur in seltsamen Fieberträumen möglich. Und doch ist dies eine wahre Geschichte. Der Mut und die Klarheit, der starke Wille, den die damals Ende 20-jährige aufbringen muss, ist bewundernswert und auch aus feministischer Sicht Heldinnenhaft. Die starke Unterordnung, das Ausschalten des Egos, das als Grundhaltung von ihr verlangt wird, sowohl von außen als auch von ihr selbst, löst beim Lesen immer wieder starke innere Konflikte aus. Dabei kommen Fragen auf, die sich ansonsten im Alltag kaum stellen. Das ist höchstspannend. Mit welchen Leidenschaften auch immer man sich gerade beschäftigen mag. 'Ich nickte und machte mir im Kopf Notizen über das Blätterfegen mit dem Strohbesen. Dies war Kapitel 1 meines Ninja-Lehrbuchs: Einführung in die Fegkunst. "Die japanische Seele", sagte Kashira, "wohnt im Besen. Ich wette, du dachtest, sie wohnt im Schwert, stimmt's?"'