sophiesyndrom
Dieser Comic war wahrlich eine Bereicherung und das, obwohl mir persönlich der Zeichenstil nicht gänzlich zugesagt hat. Mit Handlung, Struktur und Charakteren konnte mich das Buch allerdings so begeistern, dass der Ersteindruck nicht ins Gewicht meiner endgültigen Rezension fallen soll. Denn das hätte die Geschichte schlicht nicht verdient. Direkt zu Beginn ist mir sehr positiv aufgefallen, wie schnell man sich bei den Figuren zurechtfindet. Man hatte sofort ein Gespür dafür, wie die Menschen so ticken und wie sich ihre Beziehungen zueinander gestalten. Die Gespräche zwischen den Figuren, die im Übrigen auch so wunderbar divers waren, und ihr allgemeiner Umgang miteinander war lebhaft und interessant. Zum Protagonisten Lubin hatte ich bereits nach wenigen Seiten eine sehr gute Bindung und ich habe ihn als eine zielstrebige und freundliche Person wahrgenommen. Schnell wird auch klar, was Zentrum dieser Geschichte ist: Lubin erwacht plötzlich nur noch an jedem zweiten Tag. Die Tage dazwischen scheinen jemand anderem zu gehören. Die Grundidee wurde natürlich schon über den Klappentext transportiert, weshalb ich auch solches Interesse an dem Comic hatte, aber ich fand es vor allem spannend, zu sehen, dass man diese Veränderung in Lubins Leben von Beginn an als LeserIn verfolgen konnte. Man rätselt also mit, fragt sich gleichzeitig mit dem Protagonisten, was eigentlich vor sich geht, und kann das Unbehagen und die Angst, die Lubin verspürt, sehr gut nachvollziehen. Großartig war wirklich, wie Timothé Le Bouchers all die Einzelaspekte der Geschichte miteinander verband. Es ging natürlich viel um die Bedeutung des Lebens, Kontrolle und der Verlust dieser, um Freundschaften und Familie. Bei all dem spielte zudem Zeit eine sehr große Rolle, was sich auch in der allgemeinen Struktur der Handlung und der Erzählperspektive spiegelte, und das hatte schlussendlich eine große Sogwirkung auf mich. Zusammengefasst war das handwerklich in meinen Augen wirklich grandios gemacht. Und von der Thematik und der Bedeutungstiefe hallt der Comic in mir nach – ich musste und werde wahrscheinlich noch eine Weile über diese Geschichte nachdenken. Auf ganz persönlicher Ebene hat, wie gesagt, der Zeichenstil nicht ganz meinen Geschmack getroffen. Betrachtet man die einzelnen Panels, sieht man, dass die Gefühle ausreichend in die Gesichter eingearbeitet sind. Ich glaube nur, dass ich es lieber mag, wenn mehr Feinheiten in der Charakterdarstellung erkennbar sind und Bouchers Stil ist etwas mehr flächig, wenn man das so beschreiben kann. Aber dieser Eindruck war einfach nichts gegen die Wirkung, die der Comic in mir entfaltet hat, und deshalb möchte ich ihn auch gern uneingeschränkt weiterempfehlen.