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magineer

Posted on 14.7.2023

Schwedische Thrillerbombe John Ajvide Lindqvist ist ja mittlerweile Schwedens Vorzeigeautor, wenn es um international konkurrenzfähige Genreliteratur geht. Bisher eher im Horror des Übernatürlichen beheimatet, wurde er seinerzeit mit dem kongenialen Vampir-Coming-of-Ager "So finster die Nacht" weit über die Grenzen Skandinaviens hinaus zum Star. Das Buch wurde nicht nur in seiner Heimat verfilmt, sondern danach auch in Hollywood neu interpretiert - und das gar nicht mal so übel. Zuletzt gab es dazu sogar noch eine (leider relativ kurzlebige) US-Fernsehserie, die zwar über eine Staffel nicht hinauskam, aber interessante neue Ansätze zeigte. Kurzum: Lindqvist galt zurecht als Schwedens Antwort auf Stephen King - obwohl derlei Auszeichnung oft mehr Marketing-Plattitüde als ernstgemeintes Kompliment ist. Nun also der Versuch eines Thrillers, und da Lindqvist ja irgendwie einen Ruf zu verlieren hat, klotzt er lieber als zu kleckern. Folgerichtig ist auch sein "Refugium" kein leiser und düsterer Scandi-Noir, sondern ein literarischer Blockbuster-Versuch, der nichts Geringeres will als die Nachfolge von Stieg Larssons weltberühmter Millenium-Trilogie anzutreten. Dementsprechend legt Lindqvist auch sein eigenes Werk nicht nur als (mindestens) Trilogie an, sondern begibt sich relativ frech (oder selbstbewusst) sogleich auf Metaebene und thematisiert Larsson höchstselbst, indem er seine Protagonistin (Autorin und Ex-Polizistin Julia Malmros) als Nachfolgerin von Larsson aufbaut, die eigentlich zu Beginn seiner Geschichte im Auftrag ihres Verlages die Folgebände zur realen Millenium-Trilogie (und den Ergänzungen von David Lagercrantz) schreiben soll. Damit ist die Ausgangssituation gesetzt, und jetzt fehlt nur noch ein passender Salander-Ersatz, der Julia zur Seite gestellt wird - und Lindqvist gelingt hier fast unbewusst der nächste Coup, indem er den Computernerd Kim Ribbing einführt, der in seiner freakigen Rätselhaftigkeit auch selbst problemlos allen Vergleichen zur legendären Lisbeth Salander standhält. Chapeau für diesen Move! Jetzt sind die Weichen gestellt für einen politisch subtil agierenden Action-Thriller, der stilistisch tatsächlich auf den Spuren von "Verblendung", "Verdammnis" und "Vergebung" wandelt. Dafür sorgt schon ein typisch blutrünstiger Beginn, bei dem die Familie eines schwerreichen schwedischen Unternehmers samt hochkarätigem internationalem Industriellen-Besuch in den idyllischen Schären Schwedens fast vollständig von Maschinengewehrfeuer hinweg gemäht wird. Nur die Tochter überlebt, und natürlich war die Tat kein zufälliger Amoklauf. Als alte Geheimnisse wieder ans Licht kommen, beginnen Malmros (und irgendwie auch Kim am Computer) zu ermitteln und - auch logisch - stoßen damit in ein Wespennest, das weitreichende Folgen hat. Das macht Laune, ist durchgehend spannend, selbstverständlich Lundqvist-typisch gut geschrieben und beweist letztendlich das, was der Autor hier vermutlich auch beweisen wollte - dass er in jedem Genre ein Meister sein kann, wenn er nur will. Und ganz klar: Hier will er! Da gibt es keine Diskussion mehr, das ist ein ganz klarer Lesebefehl für "Refugium". Also ran an den vermutlich besten skandinavischen Thriller, der dieses Jahr über die Ostsee schwappt!

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