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seeker7

Posted on 29.6.2023

ie gute Nachricht vorweg: NEWERLA bekämpft die romantische Liebesbeziehung nicht, sie will diese in unseren Gedanken und Gefühlen fest verankerte Idee von der höchsten Form von Intimität und Liebe nicht sturmreif schießen und nicht abschaffen. Aber Sie will ihren Exklusivitätsanspruch, ihre Monopolstellung für den Bereich bedeutsamer und tragender Beziehungen in Frage stellen. Diesem Ziel ist dieses engagierte Plädoyer gewidmet. Die Autorin (eine Soziologin) steuert das zentrale Thema von verschiedenen Seiten aus an: Sie setzt das Konzept der Romantischen Liebe in einen historischen Kontext, weist auf die vielen Enttäuschungen auf der Jagd nach diesem Beziehungsideal hin und konfrontiert es mit den aktuellen Realitäten des Internet-Datings und der durch Algorithmen gesteuerten Partnersuche. Ihre Analyse ist eindeutig: Die Fixierung auf diese eine Beziehungsform tut uns nicht gut! Nicht nur, weil sie einen für viele unerreichbaren Traum zum alleinigen Maßstab für Lebensglück definiert, sondern weil sie eine fatale Abwertung der vielen anderen Möglichkeiten beinhaltet, beglückende Beziehungen zu leben und zu gestalten. Mit geradezu trotziger Energie rüttelt NEWERLA an den gesellschaftlichen Mustern und Normen, will neue Freiräume schaffen, alternative Konstellationen aufwerten. Sie akzeptiert nicht, dass die klassische monogame Liebesbeziehung der einzige Ort sein soll, in dem Nähe, Intimität, Verbindlichkeit und Verantwortung gelebt werden kann. NEWERLA setzt insbesondere auf verschiedene Spielarten der Freundschaft (gerne auch mit +) und fragt wiederholt, wieso wir sowohl bei unseren intimste Geheimnisse als auch bei der Planung unserer Zukunft eher auf eine noch frische Liebe setzen als auf gewachsene und bewährte platonische Beziehung. Nicht verborgen bleibt in dem Text, dass die Autorin Sympathien für unkonventionelle Spielarten von Intimität und Liebe hat und dabei auch für jede denkbare Kombination mit erotischen Aspekten offen ist. Sich von der Idee einer „ewig-währenden“ Liebesbeziehung zu verabschieden, fällt ihr offensichtlich nicht besonders schwer. Es gelingt ihr aber gleichzeitig sehr gut, die Sehnsucht nach der „großen Liebe“ mit einem gewissen Respekt zu behandeln und nicht auf den Müllhaufen der Beziehungsgeschichte zu entsorgen. Doch ein wenig überraschend ist dann im Schlussteil des Buches die Wendung zu einer gesellschaftlichen Perspektive. Die Autorin sieht in einer Öffnung und Erweiterung von Beziehungskonzepten nicht nur einen privaten Ausweg aus dem „Romantik-Diktat“, sondern erkennt darin eine Blaupause für einen gesellschaftlichen Wandel. In dem Maße – so argumentiert sie – wie die abgeschlossene Privatheit der Romantischen Liebe geöffnet und erweitert werde für experimentelle und fließende Formen von ganz verschiedenen Verantwortungsgemeinschaften, könne sich ein Klima des pluralistischen, demokratischen, inklusiven und solidarischen Zusammenlebens ausbilden. Nicht allen wird dieser Schwenk so ohne weiteres einleuchten. Durchaus konkrete Bedeutung könnten allerdings Bestrebungen bekommen, auch anderen Formen von verbindlichen und stützenden Beziehungskonstellationen einen rechtlichen Rahmen zu geben. Der Schreibstil der Autorin passt zum peppig gestalteten Cover. Mit einer schnörkellosen, leicht lesbaren Sprache entstaubt NEWERLA die Liebesideologie des vergangenen Jahrhunderts. Sie nimmt zwar auf andere Literatur und auf einzelne Untersuchungen Bezug, setzt den Schwerpunkt aber auf eine flüssige Argumentationslinie – die Details lassen sich in den Anmerkungen nachlesen. Guckt man kritisch auf diese durchaus anregende Publikation, könnte einem vielleicht auffallen, dass das Ganze tatsächlich von einer sehr überschaubare Zahl von Grundgedanken getragen wird. Diese hätten sicher auch problemlos in einen Essay gepasst – dann ohne die manchmal spürbare Redundanz. Trotzdem hat natürlich die etwas breiter und ruhiger angelegte Argumentationslinie ihre Vorteile: NEWERLA kann ausholen, Beispiele anführen und ihren Thesen feinere Facetten zufügen. Das Buch lässt sich bequem in ein paar Stunden lesen – enthält aber jede Menge Reflexions- und Diskussionsstoff. Wobei sicherlich die persönlichen Aspekte von offeneren und vielfältigen alternativen Beziehungskonzepten leichter nachvollziehbar sein werden als die angedeuteten gesellschaftlichen Implikationen.

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